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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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für eine heiße Nacht mit einer Hure.
    Der Junge öffnete das Päckchen, klopfte eine heraus und bot sie Samson an. Dann klappte er ein silbernes Zippo mit eingraviertem Drachen auf. Samson beugte sich vor, die Zigarette zwischen den Lippen, und der Junge machte einen Akt daraus, die Flamme abzuschirmen, ein symbolischer Freundschaftsdienst, der in dem fast luftleeren Casino vollkommen überflüssig war. Samson lüftete den Jack Daniel’s, den er an der Brust geborgen hatte wie ein verletztes Häschen. Er nahm einen kurzen Schluck, indem er die Flasche zwischen die Lippen stieß und den Kopf betont zurückwarf, dann reichte er sie weiter. Der Junge wischte nicht einmal den Rand ab, kippte nur den Kopf nach hinten und trank, als wollte er das frisch geknüpfte Band zwischen ihnen nicht durch das leiseste Misstrauen gefährden. Er hatte eine scharfe, etwas zu groß geratene Hakennase und auffällig blasse Haut mit verstreuten Pickeln um das Kinn: ein Gesicht, dem die besten Zeiten noch bevorstanden.
    «Samson Greene.» Samson streckte die Hand aus, und der Junge schüttelte sie.
    «Luke», murmelte er, sonst nichts, noch in einem Alter, in dem Nachnamen den Gleichaltrigen vorbehalten waren, hin und her geworfen auf dem Sportplatz und in dunklen Kellern, leise zugerufen an der Raucherwand hinter der Schule. Luke , sagte der Junge, als wäre es eine Niederlage, ein obligatorisches Eingeständnis, dass Samson der Ältere war. Er erinnerte ihn an einen Pfarrerssohn, dem respektvolle Manieren bis zum unwillkürlichen Reflex eingetrichtert worden waren. Sie lehnten an der Wand und ließen die Flasche hin und her wandern. Eine Reisegruppe strömte herein, ein Bus voller Gruftis, die zwischen den Spielautomaten wimmelten, als wäre eine Mäuseplage ausgebrochen. Das Casino begann zu verschwimmen. Nach den höllischen Tagen allein im Motel war Samson froh, Gesellschaft zu haben. Ein Gefühl von Dankbarkeit wallte in ihm auf, als er Luke den letzten Whiskey reichte.
    «Schöner Anzug.»
    «Danke», sagte Luke. «Ich ziehe ihn nie an. Ich habe ihn … Ich weiß gar nicht, wofür ich ihn gebraucht habe. Ich glaube, zur Hochzeit meines Cousins. Seitdem habe ich ihn nicht mehr getragen.»
    Er hatte einen leichten, kaum wahrnehmbaren Akzent. Nein, kein Pfarrerssohn, sondern der Sohn eines Missionars , beschloss Samson, das muttersprachige Englisch gestutzt wie eine Treibhauspflanze, geschützt gegen den aufdringlichen, vulgären Jargon auf den Straßen des lausigen, rückständigen Landes, in dem er aufgewachsen war.
    Samson merkte, wie Luke seine Kleidung musterte. Kein Zweifel, der Junge wusste nicht, was er damit anfangen sollte: die verdreckte hellbraune Windjacke, die zerknitterte, um die Hüften schlotternde Hose. Die absurden blauen, von Staub gebleichten Wildlederschuhe. Luke ließ das alles auf sich wirken und sah Samson ins Gesicht. Ein äußerst respektvoller Junge, nicht voreilig in seinen Urteilen, zur Nächstenliebe erzogen, der eine kleine Ausschweifung so unschuldig erprobte, wie er einst den Katechismus gelernt hatte. Der seine frühen Jahre in Thailand oder vielleicht in Burma verbracht hatte, wo sein missionierender Vater Tausende bekehrte, während der Sohn aus den Fenstern eines großen Hauses starrte oder allein in dem bewachten Hof Schlangenjagen spielte.
    «Wo sind sie hin, die beiden anderen?»
    «Die?» Luke zuckte die Achseln. «Roulette spielen, nehme ich an. Vielleicht Blackjack, keine Ahnung. Und Sie, spielen Sie?»
    Ein Junge, der so ähnlich war, wie er selbst mit fünfzehn oder sechzehn gewesen sein musste. Einer, der Samson in der gleichen Weise akzeptierte, wie Frank es getan hatte: beiläufig, ohne Fragen. Er legte den Arm um ihn, und Luke grinste, die Augen auf den Boden gesenkt. Samson wünschte, er könnte ihm mit Rat und Weisheit zur Seite stehen. Ihm für eine Weile der ältere Bruder sein, den er selbst nicht gehabt hatte.
    Er fühlte sich herrlich berauscht. Richtig, er hatte alles verloren! Er war ein freier Mann, seines Lebens ledig für das Leben danach. Er konnte tun und lassen, was er wollte, nach Burma gehen und missionieren, sich einer Mönchsgemeinschaft auf einer Bergspitze in Asien anschließen. Eine Flasche Whiskey kaufen und alles verspielen, was er besaß.
    «Hey», sagte er. «Was meinst du, gehen wir an die Bar?»
    «Cool», sagte Luke.
    «Wo zum Teufel ist hier eigentlich die Bar?», fragte er und führte den Jungen schwankend durch den Casinosaal.
     
    Ein paar Stunden

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