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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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später saß Samson vor einem auf den Wetterkanal geschalteten Fernseher in Lukes Hotelzimmer im 33. Stock. Das Zimmer hatte nichts gekostet, weil der Vater des einen Jungen – nicht Lukes natürlich, sondern eines der beiden anderen – Stammgast im Casino war, ein schwerer Spieler, für den jedes Mal, wenn er in die Stadt kam, der rote Teppich ausgerollt wurde. Luke saß Samson gegenüber, die Beine über die Sessellehne geschwungen, den Filzhut an den Hinterkopf gedrückt. Samson erklärte noch einmal mit der unscharfen und überspannten Logik des restlos Betrunkenen, wie er in Vegas gelandet war.
    «Vollständig ausgelöscht, sagen Sie? Wirklich?», fragte Luke.
    «Genau das versuche ich zu sagen. Ich wachte auf, und es war nichts mehr da. Ich konnte mich an nichts erinnern – zuerst nicht mal an meinen eigenen Namen.»
    «Sie wussten nicht mehr, dass Sie Samson heißen.»
    «Richtig.»
    «Und dann ruft irgendein Doktor, dieser Ray, bei Ihnen an.»
    «Nein, nein, nein.» Samson wollte sich erheben, auf und ab gehen, Luke und sich selbst Klarheit über die Chronologie der Ereignisse verschaffen, die zu seiner gegenwärtigen Lage geführt hatten, dieser maßlosen Trunkenheit im 33. Stock eines Hotels in Las Vegas, dem – wie hieß es noch?
    «Mirage», sagte Luke.
    «Dem Mirage.» Aber er konnte sich nicht auf den Beinen halten und fiel in den Sessel zurück. «Mit dem Sohn eines Missionars», fügte er hinzu.
    «Eines was?»
    «Eines Missionars », wiederholte Samson laut, während er in dem Zigarettenpäckchen herumfingerte, um zu sehen, ob noch eine drin war.
    «Wer ist Missionar?»
    «Dein Vater.»
    «Ist er nicht.»
    Samson sah zu Luke hinüber und versuchte, ihn schärfer in den Blick zu bekommen. Der Junge hatte sein Jackett abgelegt, das Hemd ausgezogen und saß im weißen Unterhemd da, den Filzhut noch an den Hinterkopf geklemmt, wie das Foto eines alten Jazzmusikers, nur ohne Instrument. Auf den Fotos hatten sie immer das Instrument dabei, ein verbeultes Horn, das alles Licht zu absorbieren schien und den Raum in Dunkelheit tauchte.
    «Und was hat er dann in Burma gemacht?»
    «In was ?», kreischte Luke, lachend, als hätte Samson eine Pointe losgelassen.
    «Burma.»
    Luke richtete sich auf, hielt es für an der Zeit, eine ernste Antwort zu geben.
    «Mein Vater ist Anwalt in L.A. und nie in Burma gewesen.»
    Samson versuchte, diese Neuigkeit gelassen aufzunehmen. Luke fingerte an seiner Hutkrempe, den Blick abwartend auf Samson gerichtet. Schön, sein Vater war also Anwalt. Aber war das ein Grund, sie vom Thema abzubringen, wo sie doch gerade dabei waren zu klären, wieso Samson am Ende dort gelandet war, wo er sich befand?
    «Wenigstens hast du einen Dad», sagte er ruhig. «Auch egal, wenn er nie in Burma war.»
    Luke zögerte, versuchte zu folgen.
    «Ich kann mich nicht mal an meinen Dad erinnern», erklärte Samson. «Er ist abgehauen, als ich drei war.»
    «Mein Alter ist ein absolutes Arschloch», sagte Luke mit sich verfinsternder Miene.
    «Wie meinst du das?»
    Luke zuckte die Achseln. «Ich meine, er ist ein Arschloch.»
    «Weiß er, dass du hier bist?»
    «Sie machen Witze!», schnaubte Luke. «Er würde ausflippen. Er glaubt, ich sei in San Diego, bei einer Messe für Wissenschaft und Technik.»
    Samson ließ den Gedanken sacken, kämpfte sich durch den Alkoholschleier, um den Jungen als den zu sehen, der er wirklich war, obwohl es eine hübsche Geschichte gewesen wäre, eine schöne Sache, sich vorzustellen, wie der Junge auf seinem chinesischen Fahrrad durch die Zimmer fuhr, in dem Glauben, sein Vater tue Gottes Werk.
    Luke zupfte schweigend an seinen Schnürsenkeln.
    «Weißt du was?», sagte Samson schließlich.
    «Jaa?»
    «Ich werde dir mal was sagen.»
    «Und was?»
    «Du sollst es dir merken, weil es dir sonst niemand sagen wird.» Er machte eine Pause und sah dem Jungen fest ins Auge. «Die Menschen taugen nichts, Luke. Ich sag’s dir, sie lassen dich einfach im Stich.»
    Luke nickte. «Ja, glaub ich wohl.»
    «Es ist wahr. Aber weißt du was? Scheiß drauf. Wir brauchen sie nicht.»
    Luke blickte auf, und Samson warf ihm ein Lächeln zu.
    «Jaa», stimmte Luke grinsend zu.
    «Scheiß drauf», wiederholte Samson, voller Genuss an seinen Worten.
    «Scheiß drauf», echote Luke.
    Samson nickte, gönnte sich Zeit, bis das sich gesetzt hatte. Der Wetterkanal brachte das Neueste aus den Tropen. «Also.» Er rieb sich die Augen. «Wo zum Teufel war ich?»
    «Im Krankenhaus.»
    Ja,

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