Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Kinnbacken eines Esels. Der Geist des Herrn geriet über ihn. So steht es da: Er geriet über ihn », sagte sie. «Sein langes Haar war das Symbol seiner Gelübde als Geweihter Gottes, und Gott stand ihm zur Seite.» Sie sah zum Fenster hinaus. «Unglaubliche Gewalt», wiederholte sie, auf die Alkali Flats starrend, Überreste eines Meeres so alt wie die Sintflut. «Er verliebte sich in eine Frau. Delila, erinnern Sie sich?»
Samson nickte. Er war nervös, fühlte etwas in sich aufsteigen, was überzulaufen drohte.
«Delila, natürlich», sagte er.
«Er verliebte sich in sie, und sie verriet ihn.»
Sie hätte ihm genauso gut die Geschichte einer indischen Seifenoper erzählen können. Sie hätte ein frühreifes kleines Mädchen sein können, das, geschlagen mit der Gabe der Erinnerung, den Freunden seiner Eltern die Geschichte vortrug, Leuten namens Chip und Pebble, die lachend ihre trockenen Martinis zum Anstoßen erhoben. «Sie schnitt ihm das Haar ab», fuhr sie fort, sichtlich bewegt, obwohl Samson sich fragte, ob sie nicht auch jetzt etwas vorführte. Sie rezitierte: Und Delila sprach zu ihm: Philister über dir, Samson! Da er nun von seinem Schlaf erwachte, gedachte er: Ich will ausgehen, wie ich mehrmals getan habe, ich will mich losreißen; und wusste nicht, dass der Herr von ihm gewichen war. So steht es geschrieben. Und dann stürmen die Philister herein und stechen ihm die Augen aus.»
Es war erregend, die schreckliche Gewalt, die schiere Ungerechtigkeit. Samson konnte sich kaum beherrschen, so stark war sein Drang, einen wilden Schrei auszustoßen, aufzuspringen, rauf und runter durch den Mittelgang zu laufen und jedem der Fahrgäste einmal kräftig an den Kopf zu schlagen, um sie aus ihrem Stupor zu reißen.
«Sie stechen ihm die Augen aus?», fragte er nach vorn gebeugt.
Pip kippte den Kopf nach hinten.
«Sie stechen sie ihm aus, legen ihn in Ketten und werfen ihn ins Gefängnis.» Ihre leere Hand schwebte zwischen ihnen in der Luft, die Finger leicht gebogen, wie zu einer Frage. «Als das Haar nachwächst, bittet er den Herrn, ihm einen letzten Akt der Stärke zu gewähren. Und als die Philister ihn hinausbringen, damit er ihnen vorspielt, packt er die Säulen der Festhalle und reißt sie nieder. Das Dach stürzt ein und erschlägt alle, die dort versammelt sind, einschließlich Samson. Und der Toten waren mehr, die in seinem Tod starben, denn die bei seinem Leben starben.»
Samson – der heutige Samson, der sich durch die Wüste schlug, unterwegs nach Santa Cruz – zog die Augenbrauen hoch. Er fragte sich, ob das ein Zeichen sei, ein Verhängnis seines Namens, auf das er besser achten sollte. Pip wandte die Augen ab, und er glaubte, ein flüchtiges Lächeln zu sehen, aber als sie sich wieder umdrehte, war ihr Gesicht ernst.
Sie wollte zu einer Massentaufe im Pazifik. Sie hatte davon gehört, als sie zu Hause war – auf dem Weg der Besserung , wie ihre Mutter laut flüsternd verkündete, wenn irgendjemand anrief. Abends ging Pip aus, angeblich, um ihre Freundin Dina zu treffen, ein langweiliges, anspruchsloses Mädchen, das sie aus der Highschool kannte und das in der Stadt im Eiscafé bediente. In Wirklichkeit fuhr Pip über Seitenstraßen zu den Meetings der Calvary Chapel Fellowship in Boston. Eines Abends brachte jemand dorthin Bilder aus Life mit. Hunderte, vielleicht Tausende von Menschen klatschend und singend am Strand. Manche hielten Tamburine in der Hand oder schmuddelige Kleinkinder auf dem Arm. Eine Schlange wand sich bis zum Wasserrand, wo ein Mann gerade untergetaucht und wieder hochgezogen worden war, die Hände mit geballten Fäusten in der Luft, den Kopf zurückgeworfen wie ein wuchtig getroffener Boxer. Schwer zu sagen, ob er lachte oder weinte. Kleine Rinnsale Wasser strömten über sein Gesicht und glitzerten in der Sonne. Neben ihm stand der Prediger, dessen Stimme Pip drei Wochen lang jeden Tag gehört hatte, bevor sie Indien verließ. Im Hintergrund der Weitwinkelozean, der sich abgeschieden und drohend zum Horizont erstreckte.
Pip erzählte, wie sie nach dem Meeting über die dunklen Straßen zurückgefahren war. Während sie sprach, stellte Samson sich mit Inbrunst die Szenen vor, indem er eigene Details – wie ihre über die Bäume streifenden Scheinwerfer – hinzufügte. Sie hatte in der Stadt gehalten und einen Becher Eis mitgenommen, den Dina ihr in einer silbernen Isoliertüte über die Theke reichte. Zu Hause stellte sie ihn zu den anderen ins Kühlfach
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