Kommt Schnee
er sie missmutig, wollte sie anziehen. Dann hielt er inne, zögerte, wollte sie aufsetzen. Betrachtete sie erneut. Nein, doch nicht. Er schmetterte sie in weitem Bogen durchs erwachende ilcaffè und rief: »C’est la vie!«
Baumer musste lächeln. Er trat ans Fenster und stützte sich auf den Sims. Nach einer Weile hatte Gianni die Espressi fertig und wollte sie Baumer bringen. Ein Gast, der gerade ins ilcaffè kam, schaute Gianni an und erschrak.
Gianni lachte herzlich. »Gell, da staunst du?«, sagte er. »So ein geiles Veilchen hat nicht jeder. Rot-blau wie mein geliebter FCB.« Damit war er bei Baumer. Während er ihm das Tablett reichte, berührte er mit der freien Hand Baumers Rücken. Zärtlich. Dankend. Baumer hätte es beinahe nicht mehr gemerkt. Er war bereits in die Erinnerung an Maja versunken.
Maja.
Wie sie einmal mit ihm stritt. Ihm sogar vorwarf, dass er sich zu wenig um sie kümmere. Wie er ihr daraufhin vorrechnete, was er alles schon für sie gemacht hatte. Wie er ihr vorhielt, dass er für sie mehr tue als die meisten Männer tun für ihre Frauen. Wie sie sagte, dass das nicht genug sei. Wie er ihr versprach, mit ihr nach London zu fliegen. Wie sie, nachdem sie ihn einen Moment zuvor noch enttäuscht angeschaut hatte, plötzlich aufsprang und jubelte und sich drehte im Kreis. Tanzend. Tanzend. Kreischend vor Glück. Immerzu drehte, die Arme weit ausgestreckt, wie eine Eistänzerin bei der Gold-Kür, den Kopf weit zurückgeworfen, die Haare flatternd, die Augen geschlossen und den Mund lachend weit offen. Baumer sah ihre vollen roten Lippen. Ihre perfekten weißen Zähne. Und er war von ihrer Anmut, ihrer Schönheit, ihrer Freude berauscht. Und wie sich plötzlich diese eine ernüchternde Frage in seinem Bauch festhakte: »Warum umarmt sie mich jetzt nicht?«
»Andi!«, sagte plötzlich jemand neben ihm. Er drehte sich um und sah Stefan Heinzmann vor sich.
»Oh, Stefan, ich habe dich gar nicht ...«
»Komm!«, sagte Heinzmann und packte ihn am Arm.
»Moment, ich muss noch zahlen.« Er ging zum Tresen und sagte zu Gianni: »Zwei Espressi.«
»Vier Franken.«
»Vier? Ich hatte doch zwei Espressi.«
»Heute bezahlst du nur einen, Herr Baumer. Den anderen habe ich heute mit dir getrunken.«
*
Heinzmanns Polizeiwagen stand auf dem Bürgersteig vor dem Mont Blanc-Laden, zwei Gebäude weiter als das ilcaffè. Baumer und Heinzmann stiegen ein. Das Auto versperrte einigen Passanten den Weg und auch die Fahrradspur neben der Tramfahrbahn wurde gefährlich verengt. Aber Heinzmann fuhr nicht gleich los. Es gab Wichtigeres zu tun. Er beugte sich zu Baumer hin und sprach in einem leisen Ton, so als ob er beobachtet würde. »Ich habe das Mädchen gesehen.«
Heinzmann blieb Andi zugewandt sitzen, machte eine Pause. Sagte nichts.
Baumer schaute ihn gespannt und eindringlich an. »Also?«, fragte er.
Heinzmann nickte mehrmals, und Baumer entdeckte ein geheimnisvolles Lächeln in seinem Gesicht. Heinzmanns Blick war intensiv.
»Verdammt, Stefan! Sag schon.«
»Also hör gut zu, mein Lieber. Ich habe das Mädchen gesprochen. Es wurde grad aus der stationären Behandlung entlassen. Es hat mir ein paar interessante Details erzählt.«
»Stefan!« Jetzt wurde Baumer langsam ungehalten und seine Haltung machte klar, dass Heinzmann endlich mit seinem Wissen herausrücken solle. Gab es eine Verbindung zwischen den Figuren im Plot oder gab es keine?
Heinzmann stützte seine linke Hand in die Seite, mit der anderen Hand machte er eine Pistole, der Daumen spielte dabei Schlagbolzen. »Stankovic und Gomez haben im Bistro am selben Tisch gesessen!«, sagte er, kniff das linke Auge zu und drückte mit dem Daumen ab.
Baumers Gesicht entspannte sich. Er spürte, ja wusste, dass es nicht Zufall sein konnte, dass Stankovic und Gomez am selben Tisch gesessen hatten. Ein erster wichtiger Hinweis war gefunden.
Heinzmann berichtete weiter. »Als Toni reinkam, war Stankovic allerdings bereits aufgestanden. Die beiden sind am Ausgang zusammengestoßen. Das Mädchen meint, dass das der Auslöser für Tonis Ausbruch gewesen sei.«
»Das Mädchen meint das?«, sagte Baumer und wollte doch seinem Freund nur zu verstehen geben, dass es vielleicht auch kein Zufall war, dass Toni mit Stankovic zusammengeprallt war.
»Mhhm«, bejahte der erfahrene Wachtmeister Baumers Kommentar im Stile einer schwarzen amerikanischen Mama aus Hollywood. »Alles ist ganz schnell gegangen. Das Mädchen hat Toni sagen hören: Na, du
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