Kommt Schnee
weg und fiel in tiefen Schlaf, sondern streichelte Maja weiter, liebkoste sachter als je, ihre Haut, ihre Wangen, ihre Lippen, ihre Brüste.
Als sie einmal noch zusammenlagen, nackt, verschwitzt, sagte Maja, »Andi? Gehst du bitte in die Küche.«
»In die Küche? Möchtest du was zu trinken?«
»Nein.«
»Warum soll ich dann in die Küche gehen?«
»Ich möchte mich selbst befriedigen, aber ich kann nicht, wenn du neben mir liegst.«
Andi war schockiert, wollte ihr widersprechen, beugte sich zu ihr, aber sie schlug ihm ihre Hände auf die Brust, wie von ihm angewidert, und befahl ihm zu verschwinden. Baumer stand zutiefst betroffen auf, ging traurig zum Zimmer hinaus, schloss die Tür sanft. Später kam sie in die Küche. Sie hatte bereits ihren Pyjama an, machte einen vergnügten Eindruck – summte sie ein Liedchen? – und riss den Kühlschrank auf. »Jetzt habe ich Hunger. Mjam. Mjam.«
Baumer saß am Küchentisch und schaute sie an. In seinem Blick stand Betroffenheit, gepaart mit Scham. Oder war es Wut gepaart mit Liebe? Baumer erschrak, weil er neben einem undefinierbaren Schmerz auch Freude spürte. Er freute sich für Maja, dass sie endlich ihren Orgasmus gehabt hatte, und war zugleich verbittert, dass nicht er ihr diesen Genuss verschafft hatte.
Zuerst hatte er gedacht, dass es an der Länge des Beischlafs lag, dass sie keinen Orgasmus bei ihm hatte. Doch das konnte nicht sein. Andi war nicht mehr siebzehn, und so kurz war der Sex daher nicht. Und seine erste Freundin hatte mit ihm dauernd Orgasmen gehabt. Und es waren keine gespielten, denn er hatte gespürt, wie ihre Scheidenmuskeln beim Kommen zusammenzuckten und seinen prallen Penis würgten.
Maja hingegen kam selten. Wenn Baumer ehrlich war, musste er einsehen, dass Maja nie bei ihm kam. Also trank er manchmal ein oder zwei Glas Wein vor dem Sex. Dadurch konnte er noch länger durchhalten. Maja selbst begann er, vor dem Sex ein Glas Champagner zu servieren. Es half alles nichts. Wenn der gemeinsame Sex vorbei war, wurde er wieder hinausgeschickt. Er lächelte sie an, sprach leise verständnisvolle Worte und litt heimlich.
Starb.
Einmal fragte er sie, »An was denkst du, wenn du onanierst?«
»Das sage ich dir nicht.«
»Denkst du an mich?«
»Nein.«
»Denkst du an einen anderen?«
Diese Frage beantwortete Maja nicht und beantwortete sie dadurch. Das durchbohrte sein Herz wie ein Schwert. »So muss es sich anfühlen, wenn man getötet wird«, dachte er und diagnostizierte seine tödliche Verwundung, wie ein Samariter bei der Landung in der Normandie auf Omaha Beach die Triage der Schwerverletzten durchführte. Soldat Baumer gehörte in die Klasse der Hoffnungslosen. Lebt noch. Stirbt aber.
Am Nachmittag war Baumer bei der Mutter von Stankovic und saß im Wohnzimmer dem Opfer gegenüber. Er sah ihm aus einem Foto, das auf dem Fernseher stand, lebensfroh entgegen. Mehrere Arme, die durch den Bilderrahmen scharf abgeschnitten wurden, hielten ihn umschlungen. Ein halbes Gesicht im Profil, die Lippen zum Kussmund geformt, ragte ins Bild und suchte Stankovics Wange.
Boban Stankovic wurde geliebt, und sein Leben war ausgelöscht worden. Jetzt war er nur mehr ein Bild, das auf einem überdimensionalen Fernseher prangte. Echte Zierblumen in kleinen Tonschalen rahmten das Foto ein. Links und rechts neben dem Fernseher waren rosa und zitronengelbe Plastikakeleien aufgestellt. Das Ganze sah aus wie ein geschmückter Altar. Darüber, leicht nach links verschoben, war die Hausikone angebracht. Ein Ölbild, circa 30 auf 40 cm, direkt gemalt auf dickes, edles Holz. Es zeigte einen Mann in einem Gewand wie Jesus. Der Mann hatte einen langen schwarzen Bart. Sein Gesicht war leichenblass. In einer Schale trug er einen abgeschlagenen Kopf. Ein Kopf, der seinem eigenen identisch war. Der Stumpf des Halses war blutüberströmt. Die ganze Figur lag auf Goldgrund.
»Das ist der heilige Jovan. Unser Schutzheiliger«, sagte Frau Stankovic.
Baumer blickte von der Ikone zur Mutter, die, ganz in Schwarz, vor das Bild des Opfers getreten war und sich mit dem Blick zur Ikone aufgerichtet bekreuzte, so wie es die Orthodoxen tun. Mit drei Fingern. Das Kreuz, das die Frau schlug, war kaum mehr als solches zu erkennen. Die Hand führte vielmehr in kleinem Kreis über Hals und Brust. Die Geste war kaum lesbarer als die Schrift eines alten Arztes, der ein Dauerrezept für Voltaren ausstellt.
Baumer saß nah am Fernseher und dem lebenden Toten. Oder war es ein
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