Kommt Schnee
schwer. Dann atmete er tief ein, nahm das Gespräch an. Mit fester Stimme, die ihm einen Klacks zu laut geriet, sagte er: »Ja? Baumer hier.«
»Herr Baumer, kommen Sie in den Spiegelhof. Treffen in meinem Büro in 15 Minuten.«
»Ich bin unterwegs ...«
»In genau 15 Minuten sind Sie bei mir«, kreischte es in Baumers Ohr.
Die Leitung knackte. Windler hatte aufgelegt. Also machte sich Baumer auf den Weg, in Gedanken versunken. Er überlegte kurz, was Windler wollte, dann sagte er sich, dass das scheißegal sei. Windler hatte seine Agenda. Dort standen bestimmte Sachen drin. Baumer hatte auch eine Agenda. Aber vor allem hatte er eine Strategie. Und zu der gehörte, dass ihm Windler scheißegal war. »Ja, Herr Windler. Nein, Herr Windler.« Das konnte Windler haben. Aber nicht, wenn Windler das wollte. Nicht, wenn der es wünschte, und nicht, wenn er es befahl. Nur wenn es Baumer selbst etwas nützte, würde er seinem Chef gehorchen. Baumer hatte sich schon lange geschworen, keine Befehle mehr von Windler entgegenzunehmen. Aber wenn es um einen Fall ging, dann würde er den Nigger Jim spielen, wenn es denn sein müsste. »Yes, Massa. Sofort, Massa. Aber das mache ich doch gern, Massa.« Aber am Schluss würde der müde, alte Jim sich erheben.
15 Minuten später war Baumer in Windlers Büro. Der stand vor seinem Schreibtisch, neben ihm Kohler, der Staatsanwalt aus dem Baselbiet, den Baumer bei seiner eigenen Vernehmung kennengelernt hatte. Windler und der Staatsanwalt scherzten und lachten. Windler war in Höchstform. Er tippte immerfort mit seinem ausgestreckten, aber leicht gekrümmten Zeigefinger in Richtung Kohlers Revers, ohne es jedoch zu berühren. Es sah aus, als würde Windler seinen Finger ausschütteln. Windler kicherte. Kohler kicherte mit.
Im Büro stand auch Baumers Freund Stefan Heinzmann. Er schwieg. Baumer nickte ihm zu, doch er stand da wie ein gezähmter, aber stolzer Indianer vor einem Drugstore in New Mexiko. Gerade und unbeweglich. Unergründlich.
Windler erzählte seine Geschichte zu Ende. Irgendetwas über eine Baselbieter Kirschtorte. Baumer verstand den Witz darin nicht. Wahrscheinlich verstand Kohler ihn auch nicht, aber er lachte artig und nicht einmal übertrieben. Baumer dachte, dass Kohler ein undurchdringliches und daher perfektes Lachen gelungen und dass er daher wohl ein guter Schauspieler sei. »Der bringt’s noch mal ganz weit nach oben«, war sich Baumer sicher.
Windler genoss das kumpelhafte Lachen von Kohler. Dann drehte er sich grinsend zu Baumer. »So, Herr Baumer, was gibt es Neues?«
Baumer schwieg.
»Sie waren doch bei Stankovic, oder?« Windler wandelte sich bei diesem Satz von einem netten, lockeren Vorgesetzten in ein wildes, angriffslustiges Tier. Ein Tiger, den man mit Schlägen an die Gitterstäbe seines Käfigs wütend gemacht hatte.
Baumer selbst stand da wie ein Bulle, den das gleißende Sonnenlicht in der Stierkampfarena geblendet hat. »Welches Schwein ist mir gefolgt?«, marterte er seinen Kopf.
»Und Sie, Herr Wachtmeister!« Windler betonte das Herr und rollte die zwei R darin. Das Wort tönte dabei wie Härr und hätte diesem besonders begabten Schauspieler gut angestanden, der damals, dort in Berlin, im gleichen Stile gekrächzt hatte. »Eine Frechheit. Belästigt das arme Mädchen. Verdammt. Huere Mist!«, tobte Windler und sprang vorwärts.
Der Staatsanwalt aus Liestal zuckte zusammen, aber Windler hatte sich sofort im Griff, weil er seinen Fehler noch rechtzeitig erkannte. So redet man zu seinem Wachtmeister, aber nicht vor Staatsanwälten aus Liestal.
»Entschuldigung!«, sagte er prompt zu Kohler. »Das ist mir herausgerutscht.« Dann kochte Windler erneut über und war nicht mehr zu bremsen. Er sprach von unentschuldbarem Verhalten. Unruhestiftern. Saboteuren. Damit waren Baumer und Heinzmann gemeint. Dass beide ruhig und besonnen blieben, trieb Windler vollends zur Weißglut. »Gauner seid ihr! Kriminelle!«, geiferte er die beiden an. Den fremden Staatsanwalt vergaß Windler komplett. Der war nunmehr so wichtig wie ein Einrichtungsgegenstand im Büro, eine Lampe etwa oder ein Stuhl.
Kohler stand dabei und war erschlagen. Die Galle des Chefs der Basler Kriminalpolizei spritzte herum, und er konnte sehen, dass Windler einen echten Dachschaden hatte. Aber was tun? Ein Wort zur Mäßigung einbringen? Dazwischengehen? Das ging nicht. Windler war mächtig in dieser Stadt. Nur ein Rädchen selbstverständlich, aber ein wichtiges. Er war ein
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