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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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wurde die Sendung jeweils ausgestrahlt. Jugoslaviji, dobar dan. Baumer sah sie als Kind immer dann, wenn es regnete und er zu Hause blieb und gelangweilt zwischen Schweizer Fernsehen, ARD und ZDF – den einzigen Sendern, die sein Fernseher damals empfing – hin und her schaltete.
    Die Mutter von Stankovic kam herein, auf einem Tablett trug sie Wasser und Bier. Im Hintergrund hörte Baumer das Mahlwerk einer automatischen Kaffeemaschine anlaufen. Die Messer zerschlugen die Kaffeebohnen in tausend Splitter und machten einen bestialischen Lärm. Sofort bekam Baumer Lust auf Kaffee, aber er wollte jetzt nicht mehr stören. Sowieso hätte er nur Lust auf Serbenkaffee gehabt. Der ist brutal stark, wenn er im kleinen Pfännchen aufgekocht wird, so wie es die Serben von den Türken gelernt haben.
    Die Mutter stellte dem Kommissar ein Glas Wasser hin. »Boban ist hier geboren. Noch in Chur. Dort ich war Zimmermädchen im Hotel Alpina. Das war eine schöne Zeit. Kamen wir nach Basel, als Boban zwei war. Wir haben dort am Tag 12 Stunde im Casino gearbeitet. Am Abend gab es Bankette, arbeiteten wir grad nochmals 5 oder 6 Stunden. Haben wir nichts ausgegeben. Waren wir zu müde. Haben wir nur oben im Casino in einem Zimmer geschlafe und dann wieder gearbeitet.«
    »Was hat Boban gearbeitet?«, fragte Baumer vorsichtshalber den ruhigen Onkel – Rajo hieß er – aber seine Mutter antwortete geschwind, mit großem Stolz in ihrer Stimme. »Er hat eine eigene Firma gemacht für sich. Beba-Consulting. Be für Belgrad. Ba für Basel.«
    »Boban hat die Handelsschule gemacht und auf dem zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaft studiert«, erzählte Rajo, der erstaunlich gut deutsch sprach und praktisch keine grammatikalischen Fehler machte. Er war wohl schon länger in der Schweiz, vielleicht war er auch nur sprachbegabter als sein Bruder.
    Als die Mutter die Getränke verteilt hatte, verschwand sie wieder in der Küche. Baumer war froh, dass sie so beschäftigt war, und es offenbar noch gar nicht richtig in ihre Seele gesunken war, dass ihr Kind tot war. Es war jemand in der Familie ermordet worden. Ja. Aber Boban tot? Ihr Boban? Nein, das sicher nicht. Bestimmt würde er bald nach Hause kommen.
    Der besonnene Onkel von Boban fügte so leise hinzu, dass es die Mutter nicht hörte: »Boban hatte große Ziele. Er wollte Geld machen mit der Logistik. Ein Leben lang schuften, wie wir es mussten, das wollte er nicht. Ich verstehe gut«, sagte er milde, aber der andere Onkel fuhr dazwischen.
    »Immer nur schaffe, schaffe. Und jetzt? Tot von eine faule Schweizer!«
    Dann ging es los. Der eine Bruder fuhr den anderen an. Für Baumers Ohren tönte es wie »Tschutti«. Auch die anderen Personen riefen den Onkel auf Serbisch an. »Tschutti« kam es auch von ihnen. Das konnte nur so etwas heißen wie »Sei ruhig, hör auf!«, oder »Benimm dich!« Baumer freute sich, denn er hatte ein neues serbisches Wort gelernt.
    Als sich der Stimmenwirrwarr, der auf die vielen Tschuttis folgte, nicht legen wollte, öffnete Rajo Stankovic eine Schublade an der Bücherwand und kramte darin. »Hier. Herr Baumer. Hier ist Bobans alter Ausweis.«
    Andreas Baumer, Kriminalkommissar in Basel, nahm den blauen Pass, der goldene Lettern in kyrillischer Sprache und einen Adler auf dem Titel trug, und blätterte langsam darin. Er war auf mehreren Seiten mehrmals gestempelt. Ein paar Mal Zürich. Öfter noch Lissabon.
    »Und hier ist Bobans neuer Pass«, sagte Rajo. »Er war doch so ungemein stolz darauf, Schweizer geworden zu sein.«
    Baumer ergriff auch diesen nagelneuen biometrischen Pass, blätterte darin. Dieses Dokument war blutrot mit großem weißen Schweizerkreuz. Baumer schlug die erste Seite auf. Sah das Passfoto von Boban Stankovic. Er saß frontal zur Kamera, lächelte nicht, durfte nicht lächeln. Boban Stankovic, 28 Jahre, Serbe mit Schweizer Pass. In Schwarz-Weiß sah er wie ein Verbrecher aus.
    Die Tochter kam herein, auf den Armen ein Tablett mit mehreren Kaffees, die Mutter im Schlepptau. Die griff bereits nach der ersten Tasse und reichte sie Baumer. »So, bitte sehr, Herr Baumer, der Kaffee. Möchten Sie Milch und Zucker? Oder, wissen Sie was? Soll ich mache eine echte Kaffee für Sie? Aufgekocht. Nur schwarz. Ganz schwarz.«

    *
    Als Andreas Baumer wieder vor der Tür des Wohnblocks stand, wo Boban Stankovic, seine Mutter und vier weitere Verwandte lebten, klingelte sein Handy. Das Display zeigte die Nummer von Windler, seinem Chef. Baumer schluckte

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