kommt wie gerufen
behauptet, daß er sie erwartet hatte. Vielleicht war das Buch versehentlich verkauft oder verlegt worden. Selbst Spione mußten ihre Pechtage haben. »Wirklich sehr liebenswürdig«, sagte sie entschlossener, und da er den Vorhang lüftete, der das Hinterzimmer vom Laden trennte, folgte sie ihm. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig.
»Milch, Zitrone, Zucker?« fragte er, führte sie zum Tisch und fegte verschiedenen Kram von einem Stuhl, um ihr Platz zu machen.
»Milch und ein Stück Zucker, bitte«, sagte sie, nahm auf dem Drehstuhl Platz und sah sich interessiert um. »Obwohl ich wirklich nicht länger als einen Augenblick bleiben darf.«
»Vollkommen richtig, alles andere wäre unklug«, gab er ihr zu und brachte ihr eine dampfende Tasse. »Ich bin gleich wieder hier. Mein Frühstück besteht immer aus Tee und dazu lade ich öfters einen meiner Kunden ein.« Er schob ihr eine Papierserviette hin. »Machen Sie es sich bitte bequem. Ich komme gleich.«
Er verschwand hinter dem Vorhang, und Mrs. Pollifax machte es sich dadurch bequem, daß sie einen Schuh abstreifte und ihren Tee trank. Ein sehr höflicher Mensch, fand sie, aber nicht so gewinnend wie sein Vetter. Sie überlegte, was er ihr wohl bringen würde: ein anderes Buch oder vielleicht ein Päckchen? Die Kalenderbilder an der Wand vor ihr begannen sie zu langweilen, und sie drehte den Stuhl herum, um das Zimmer zu betrachten. Wie heiß und beklemmend es hier ist, dachte sie. Schrecklich heiß. Sie trank den Tee aus, zwängte sich wieder in ihren Schuh und stand auf. Es war sehr freundlich von ihm, sie in sein Hinterzimmer einzuladen, aber es wäre rücksichtsvoller gewesen, wenn er ein Fenster geöffnet hätte. Sie wollte lieber im Laden auf ihn warten. Ein sonderbarer, aber irgendwie vertrauter Gegenstand erregte ihre Aufmerksamkeit. Er war kuppelförmig, stand auf einem Sockel und war mit einem Tuch bedeckt. Sie trat darauf zu und zog das Tuch beiseite. Es war ein großer Vogelkäfig, der jetzt leer stand. Nur eine einzige grellblaue Feder lag darin.
»Der Papagei!« dachte sie erstaunt.
In ihrer Verwirrung hatte sie ihn ganz vergessen. Jetzt aber, da Óle ihr wieder eingefallen war, stand das Bild des anderen Señor de Gamez ganz deutlich vor ihrem Auge. »Mein Laden ist nach Óle benannt«, hatte er gesagt, »und nicht umgekehrt. Meine Óle war zuerst da. Sie lebt schon seit zwölf Jahren bei mir.«
Mein Laden… meine Óle… ja, er hatte beides ganz eindeutig sein eigen genannt. Sie hatte es nicht eigentlich vergessen, bloß hatte ihr der heutige Señor de Gamez keine Zeit zum Überlegen gegönnt.
Auch jetzt vermochte sie nicht klar zu denken, denn es war sehr stickig in dieser Kammer, und ihr Kopf begann zu schmerzen. Sie starrte den Käfig an und zwang sich zum Nachdenken. Der Käfig war hier. Der Papagei nicht. Noch etwas anderes beunruhigte sie und sie versuchte, sich darüber klar zu werden. Wenn der Papagei und der Laden dem ersten Señor de Gamez gehörten, dann drängte sich eine zwingende Schlußfolgerung auf, aber Mrs. Pollifax war nicht fähig, sie zu ziehen. Irgend etwas war erschreckend anders geworden, nicht nur der Laden, auch sie selbst. Sie fühlte sich benommen, schwindlig und konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Und daran war nicht die Hitze schuld, erkannte sie. Nein, die Hitze keinesfalls. Der Tee war es. Pollifax trank schon jahrelang Tee, aber noch nie hatte sie einen so sonderbaren Nachgeschmack im Mund gehabt.
»Er hat mir etwas in den Tee getan!« rief Mrs. Pollifax aus und tat einen Schritt zur Tür, aber ihre Worte blieben stumm, ihr Rufen war nur ein Flüstern, und nach diesem einzigen Schritt sank sie bewußtlos zu Boden.
Mrs. Pollifax öffnete ein Auge. Unklar fühlte sie, daß jemand sie systematisch ohrfeigte; zuerst die linke Wange, dann die rechte. Sie schloß das Auge, und die Ohrfeigen begannen neuerlich.
Als sie wieder zu sich kam, strengte sie sich an, das Gesicht zu erkennen, das sich dicht über sie beugte. »Fu Man Chu«, murmelte sie geistreich und kicherte leise.
»Sie wollen jetzt aufwachen, bitte!« sagte die körperlose Stimme.
Mrs. Pollifax seufzte. »Na schön, bloß will ich in Wirklichkeit nicht, schon gar nicht, wenn Sie mich ständig ohrfeigen.« Diesmal zwang sie sich, beide Augen aufzuschlagen und auch offen zu halten, aber der triste Anblick, der sich ihr bot, rechtfertigte ihre Mühe nicht. Sie und dieser Mensch schienen sich in einer kleinen, etwas windschiefen Hütte aus
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