kommt wie gerufen
Seine Stimme klang enttäuscht und wütend. Mrs. Pollifax legte ein As auf die rote Zwei und wartete auf das unvermeidliche Knirschen des Schlüssels im Schloß. Allmählich fürchtete sie sich vor diesem Geräusch. Die Tür flog auf. Mrs. Pollifax hob die Augen, und die Karten fielen ihr aus der Hand.
»Farrell!« schrie sie auf.
Er wurde von zwei Wachen gestützt. Ein Bein baumelte herab, seine Kleider waren blutverschmiert. Bei ihrem Schrei hob er den Kopf und öffnete ein Auge. »Wieder mal Pech gehabt, Herzogin«, sagte er, und als die Männer ihn nicht eben sanft auf die Pritsche legten, sagte er verlegen: »Der verdammte Felsen. Wenn man von einem hundert Fuß hohen Felsen springt, könnte man doch wahrlich erwarten, tot zu sein, wie?« Danach sank er bewußtlos auf seine Pritsche.
10
Allmählich wurde es Nacht und die beiden Sehschlitze in der Wand verdunkelten sich. Mrs. Pollifax saß neben Farrell und lauschte seinen Fieberfantasien. Sie wußte, daß sein Bein an zwei Stellen gebrochen war und hatte weder Wasser noch Verbandzeug für ihn.
Sein Hemd war blutig, aber soviel sie feststellen konnte, war nur eine einzige Kugel ins Fleisch gedrungen und steckte jetzt in seinem rechten Arm oberhalb des Ellbogens. Sie hatte die Blutung damit gestillt, daß sie mit der derben Wolldecke ihrer Pritsche Farrells Ader abgebunden hatte. Als General Perdido eintrat, steigerte sie sich in einen wilden Haßausbruch über die Aussichtslosigkeit der Lage und ihre eigene Hilflosigkeit. »Guten Abend«, sagte sie schneidend.
Perdido wurde von einem Wärter mit einer Kerze begleitet, die der Mann in einen Metallring steckte, der für diesen Zweck in die Wand eingelassen war. Der General trat zu Farrell und blickte verächtlich auf ihn hinab.
Mrs. Pollifax sagte eisig: »Ich habe um Wasser und Verbandzeug gebeten, und niemand bringt es mir. Wenn ich mir die Freiheit eines Vorschlags anmaßen darf, General; weshalb erschießen Sie Mr. Farrell nicht? Das wäre bedeutend rationeller, denn sein Stöhnen macht nur Lärm, und außerdem ruiniert sein Blut Ihre schönen Möbel.«
General Perdido wandte sich ihr zornbebend zu: »Ich finde Sie unverschämt, Mrs. Pollifax.«
»So ist mir auch zumute«, gab sie zurück. »Vielleicht möchten Sie auch mich erschießen.«
Einen Augenblick dachte sie schon, General Perdido würde sie schlagen, aber er ließ die Hand sinken, starrte den stöhnenden Farrell drohend an und machte dann kehrt. An der Tür sagte er zu Major Vassovic: »Geben Sie der Frau Wasser und Verbandmaterial.« Dann lächelte er zynisch und sagte zu Mrs. Pollifax: »Vielleicht können Sie den Gefangenen soweit kurieren, daß er einer kleinen Befragung standhält.« Damit entfernte er sich.
Major Vassovic sah Mrs. Pollifax zweifelnd an. »Wasser? Verbandmaterial? Sind Sie Krankenschwester?«
»Nein, bloß ein Mensch«, herrschte sie ihn an und setzte sich wieder neben Farrells Pritsche.
Der Major kam mit Leinenstreifen und einem Krug Wasser zurück.
Er stand neben Mrs. Pollifax und sah ihr zu, wie sie Farrells Lippen befeuchtete und die Adersperre an seinem Arm löste.
Die Wunde hatte zu bluten aufgehört. Mrs. Pollifax legte die Decke neben ihn, ging zu ihrer Pritsche und rollte die Matratze zurück. Die Pritsche bestand aus Holzbrettern, auf denen die dünne, harte Matratze lag. Sie entfernte zwei dieser Bretter und kam damit wieder zu Farrell.
»Was tun Sie denn?« fragte Major Vassovic neugierig.
»Ich will das Bein einrenken.«
Major Vassovic sagte erstaunt: »Zott! Verstehen Sie etwas davon?«
»Nein, aber jemand muß es ja tun«, erwiderte Mrs. Pollifax. »Ich hoffe, Sie helfen mir dabei.«
»Dazu habe ich keinen Befehl«, sagte er reserviert.
»Aber Sie sind nun mal hier, und er ist ein Mensch genau wie Sie. Oder finden Sie, daß ein Bein so aussehen darf?«
»Ich habe keinen Befehl«, wiederholte er und ging.
Mrs. Pollifax war plötzlich todmüde. Sie sah Farrell und das gebrochene Bein an und wußte, daß sie allein nur Unheil anrichten konnte. Sie biß die Zähne zusammen, beugte sich über ihn und riß das Hosenbein auf. »Ich werde nicht ohnmächtig werden«, nahm sie sich vor. »Nicht ohnmächtig werden. Nicht ohnmächtig werden. Sicher kann ich einen dieser Knochen selbst zurechtschieben. Auf jeden Fall muß es geschehen, solange er bewußtlos ist.« Sie richtete sich auf und betrachtete das Bein, das bereits angeschwollen und rot war und blauschwarze Flecken zeigte, und dachte
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