kommt wie gerufen
unglücklich:
»Wenn ich bloß noch ein Aspirin hätte.«
Leise öffnete sich die Tür hinter ihr, und Mrs. Pollifax zuckte zusammen, als eine halblaute Stimme sagte: »Lulasch.«
Sie drehte sich um. Einer der Wächter stand da, legte den Finger an die Lippen, nickte und grinste nervös. »Mein Name ist Lulasch.«
»So. Guten Tag, Lulasch.«
Er schlich auf Zehenspitzen zur Tür, horchte einen Augenblick und drückte sie behutsam zu. »Der Major ist schon fort. Er schläft.« Er ging zur Pritsche und starrte auf Farrell hinab. »Ich habe gearbeitet im Krankenhaus«, sagte er unvermittelt. »Ich kann ihm Bein einrichten. Zott, sieht aber schlimm aus.«
Bei dieser unerwarteten Menschenfreundlichkeit traten Mrs. Pollifax Tränen der Schwäche in die Augen. »Er ist vom Fels gesprungen«, erklärte sie erstickt. »Er hat versucht, sich das Leben zu nehmen.«
Lulasch nickte bloß. »Ich wünsche ihm beim nächstenmal mehr Glück.« Er beugte sich über Farrells Bein, um es genauer zu untersuchen. »Das ist aber nicht gut.«
»Können Sie ihm helfen?«
»Bißchen schon. Doktor ist besser, aber die bringen keinen Doktor.« Sein Blick fiel auf die Bretter, die Mrs. Pollifax noch immer im Arm hielt. Er nahm sie ihr ab und lehnte sie gegen die Wand.
»Später«, entschied er. »Jetzt müssen Sie auf seiner Brust sitzen und ihn niederhalten. Bitte sehr. Sie tun.« Starr gehorchte Mrs. Pollifax.
Zehn Minuten später war Farrells Bein eingerenkt, und Mrs. Pollifax hockte ziemlich mitgenommen auf ihrer Pritsche, kämpfte die Übelkeit nieder und sah Lulasch zu, wie er Farrells Bein mit den Brettern schiente. Nach einem einzigen empörten Aufschrei hatte Farrell wieder das Bewußtsein verloren und war noch nicht zu sich gekommen. Lulasch legte ihm die Hand aufs Herz und fühlte dann seinen Puls. Er nickte, ließ sich neben Mrs. Pollifax auf die Pritsche fallen und wischte sich die Stirn mit einem schmutzigen Taschentuch.
»Möchten Sie eine amerikanische Zigarette haben«, fragte Mrs. Pollifax schüchtern. Sie nahm die zerknitterte Packung, die Farrell ihr gegeben hatte, aus ihrer Handtasche.
»Danke.«
»Wir sind beide Amerikaner«, erklärte Mrs. Pollifax und deutete mit dem Kopf auf Farrell. »Meinen Sie – glauben Sie, darf ich mich erkundigen, ob wir hier in Albanien sind?«
Der Wärter zuckte die Achseln. »Wir nennen es Shkyperi, was in Ihrer Sprache soviel wie Land des Bergadlers bedeutet. Doch ja, es heißt Albanien.«
»Wo haben Sie so gut englisch gelernt? Sprechen alle Albaner englisch? Sie tun es und Major Vassovic auch.«
»Man hat mich vor zwei Tagen hergeholt, weil ich das Englische rede. Früher war ich in Sarande. Major Vassovic kommt aus Tirana. Man hat in der Sigurimi nach Leuten gesucht, die Ihre Sprache sprechen.«
»In der – wo, bitte?«
»Das ist der Name der Geheimpolizei dieses Landes.«
Mrs. Pollifax schnappte nach Luft. »Das heißt, daß Sie – «
Er zuckte die Achseln. »Wir leben in schweren Zeiten. Wer von uns lesen und schreiben kann, hat zwei Möglichkeiten: der Sigurimi beitreten oder nicht. Die nicht beitreten, werden zum Straßenbau abgeholt. Sie klopfen Steine. Sie tragen Steine. Ist keine Hoffnung für sie.«
»Das tut mir leid«, sagte Mrs. Pollifax. »Das klingt wirklich bitter.«
Sie musterte ihn eingehend, denn seine spontane Hilfsbereitschaft hatte ihre Neugier erweckt, aber sie konnte aus seinem Gesicht nicht klug werden. Es war ein dunkles, verschlossenes Gesicht mit scharfen Zügen: schwarze Augenbrauen, eine lange, schmale Nase, spitzes Kinn und ein dünner, schmaler Mund. Sie hätte ihn weder für einen gefühlvollen, noch selbstlosen Menschen gehalten, und doch hatte er Befehle mißachtet, um einem Kranken zu helfen.
»Es war nicht immer so«, fuhr er fort. »Die Albaner sind ein stolzes Volk und lieben die Freiheit. Leider haben wir kein Glück. Zuerst haben uns die Türken beherrscht, dann die Russen und jetzt die Chinesen. Das Land ist unter jeder Oberherrschaft das gleiche geblieben: arm, primitiv und verängstigt.«
»Sie sprechen ausgezeichnet englisch«, bemerkte sie.
Sein Gesicht erhellte sich. »Mein Vetter und ich haben das Englische als Kinder von einem Mann gelernt, der hergekommen war, ein Buch über unser Land zu schreiben. Ein Weltreisender, wissen Sie. Er hat das Buch in dem Jahr geschrieben, als ich geboren wurde, aber jedes Jahr ist er wiedergekommen, meinen Vater besuchen. Es hat ihm Freude gemacht, uns zu unterrichten. Er war mit
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