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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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der Hunger war übermächtig, so daß Sarani mit der Gabel ein großes Stück sowohl vom Schinken als auch vom Spiegelei in den Mund schob, was ihn am Reden, nicht aber am Gestikulieren hinderte, und so bedeutete er mit der freien Hand dem kleinen rotblonden Kellner, auf keinen Fall wegzugehen, doch der, dem Habitus nach englischer Kolonialbeamter, wandte sich indigniert von demungezogenen Gefuchtel ab. Da nahm Sarani ein Glas und zerschmetterte es auf dem Boden. Gemessenen Schritts kam der rotblonde Kellner zurück und fragte, was der Herr wünsche. Zweimal Huhn mit Reis und eine Flasche Merlot. Der Rotblonde ging, der andere, der Große, kam mit einer Schaufel und einem Besen.
    Sarani stand auf, nahm dem Kellner den Besen aus der Hand, kniete sich, um nicht zu wanken, auf den Boden, kehrte die Glassplitter unter den Tisch, legte den Besen ebendorthin, wandte sich dann an den jungen Mann und bat ihn, zaghaft, als müßte er damit rechnen, zurückgewiesen zu werden, ihn zur Toilette zu geleiten, er sei ein alter Mann, geistig nicht mehr auf der Höhe, auch habe er den Gehstock im Auto vergessen. Der Kellner, zwei Kopf größer als Sarani, beugte sich hinunter, bot ihm den Arm dar, so gingen sie – der junge Mann mit kleinen Schritten, der alte schlurfte neben ihm her – zur Toilette und dann zurück zum Tisch, wo gerade Huhn mit Reis und eine Flasche Wein aufgetragen wurden. Der rotblonde Kellner machte sich davon, als ginge von diesen Gästen Gefahr aus.
    Der große Kellner, Freudensprung fiel ein, der junge Mann hieß Maher, schenkte Wein ein und beugte sich dabei tief hinunter zu Sarani, der ihn mit leiser Stimme bat, bei Gelegenheit nachzusehen, wie das Wetter sei. Maher nickte freudig, als hätte er ein Kompliment für den Service bekommen, und zog sich gemessenen Schrittes zurück; mit lässiger Eleganz, fand Freudensprung und schaufelte Reis und Huhn in sich hinein. Sarani, von der großen Portion ham and eggs schon ein wenig gesättigt, speiste im Vergleich zu seinem Freund geradezu bedächtig, und ebenso begann er zu reden.
    Die vergangenen Wochen, sagte er, seien seit vierzig Jahren die einzige Zeit gewesen, in der er mit Heinrich nicht in Verbindung stand. Ausgerechnet da habe er, ohne sich mit Heinrich beraten zu können, eine Entscheidung treffen müssen.
    Er übersiedle in die Schweiz, nach Zürich. Was mit der Farm geschehen werde, wisse er nicht. Man habe ihm eine Professur angeboten. Er habe nie aufgehört, sich mit dem Seilbahnbau, insbesondere, wie Heinrich wisse, mit Bremssystemen, zu beschäftigen, habe etliches weiterentwickelt und das in Fachzeitschriften publiziert.
    Diese Professur, das mache das Angebot besonders interessant, werde zum Teil von der Schweizer Seilbahnwirtschaft bezahlt, um die es nicht zum besten bestellt zu sein scheine. Sie sei technisch in Rückstand geraten, und um diesen aufzuholen, engagiere man einen Wüstenbewohner. Ihm komme das gelegen. Er sei dreißig Jahre Unternehmer gewesen, wenn auch ein nichtkapitalistischer, zehn Jahre in Graz, zwanzig Jahre hier. Im Alter sei ihm das zu dumm und insofern zu anstrengend.
    Freudensprung dachte, nun, da das Gespräch ins Belanglose abgleite, sei es an der Zeit, zu jener Sache zu kommen, derentwegen er nach Kairo gereist war. Doch er fand nicht den Mut, das Thema unvermittelt anzusprechen, und so versuchte er, den Faden des Gesprächs aufzunehmen: Ihm sei schon das bloße Leben zu anstrengend; und er hob das Glas auf das Wohl des Freundes.
    Ob er, fragte Sarani sich, hierhergekommen sei, um sich Platitüden anzuhören oder um ein klares Wort zu sprechen? Doch der Mut dazu fehlte auch ihm, und so antwortete er: Was das Leben anstrengend mache, liege nichtim Leben begründet, sondern in den Verhältnissen, von denen es erdrückt werde. Er unternehme etwas, habe er als junger Mann gedacht, damit er und seine Mitstreiter gut und frei arbeiten und leben könnten. Habe er dann etwas unternommen, habe er erfahren müssen, daß man unter den gegebenen Verhältnissen zu List und Hinterlist greifen muß, damit ein Unternehmen wie das seine nicht zusammenbricht. Von Freiheit, Unabhängigkeit, gar einem befriedigenden Arbeiten und Leben gebe es, er wolle das nicht bagatellisieren, immerhin Spuren.
    Dieser Spuren wegen, fuhr Sarani fort, habe er zu Heinrich über jene bitteren Erfahrungen nie gesprochen. Auch seien im Lauf der Jahre die Langeweile und der Stumpfsinn seiner Tätigkeit, wie antikapitalistisch und alternativ diese auch

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