Konfessor - 17
hatte einen Verdacht. Ohne Hilfe kann sich eine Frau wie Ihr nicht so lange an der Macht halten. Unter Eurer Herrschaft war der Palast der Propheten eine Insel der Stabilität und Ruhe in einer Welt in Aufruhr, einer Welt, die im Begriff war, unter den Bann der Bruderschaft der Imperialen Ordnung zu fallen. Ihr brauchtet ein im ganzen Land verbreitetes Spionagenetz, um stets über die Geschehnisse in der Außenwelt unterrichtet zu sein, das Euch über die möglichen Gefahren auf dem Laufenden hielt. Schließlich wart Ihr der Garant dafür, dass der Palast über Hunderte von Jahren frei und ungehindert seiner Arbeit nachgehen konnte.«
Ann hob erstaunt eine Braue. »Ich war darin keineswegs so gut, wie Ihr denkt, meine Liebe. Andernfalls hätten sich die Schwestern der Finsternis unmittelbar vor meinen Augen wohl kaum so frei entfalten können.«
»Aber Ihr hattet einen Verdacht und habt Vorkehrungen getroffen.« »Richtig. In jedem Falle aber unzureichende, wie sich nun herausstellt.« »Niemand ist ohne Fehl, und niemand unbesiegbar. Richtig aber bleibt, dass Ihr lange Zeit Hervorragendes dafür geleistet habt, um sie in Schach zu halten. Ich weiß, dass sie wegen Eures Informantennetzes über Jahre unablässig über ihre Schulter geschaut haben, weil sie Euch fürchteten. Und dank dieses Netzes, wie nur die Prälatin es zu spinnen vermag, müsstet Ihr etwas über Sechs gehört haben.« »Ich weiß nicht, Nicci. In all den Jahren haben sich Unmengen wichtiger Dinge zugetragen, da haben mich Gerüchte über eine Hexe nicht sonderlich interessiert. Es gab Wichtigeres. Was Sechs anbetrifft, so ist mir eigentlich nichts Bemerkenswertes zu Ohren gekommen.« »Mir liegt nichts daran, Euch zum Verrat von Vertraulichkeiten zu bewegen, Ann. Mich interessiert nur alles, was Ihr über sie wisst. Aus irgendeinem Grund hat sie das Kästchen der Ordnung in ihren Besitz gebracht, das ich für Richard wiederbeschaffen muss. Schon der kleinste Hinweis könnte dabei hilfreich sein.«
»Von meinen Quellen habe ich einfach nie etwas über sie gehört.« Schließlich nickte sie, fast wie zu sich selbst. »Aber ganz allgemein schon, daher weiß ich auch, dass sie die Macht der Ordnung nicht ins Spiel bringen kann.«
»Warum hätte sie es dann in ihren Besitz bringen sollen?« »Nun, bis auf das, was Shota uns über sie berichtet hat, weiß ich zwar nichts über sie, gleichwohl ist mir bekannt, dass manche Menschen ihre Bestimmung in dem Wunsch sehen, alles Gute im Leben zu zerstören - eine besonders verdrehte Überzeugung, die im Grunde nichts anderes ist, als die Rechtfertigung vor sich selbst für ihren alles beherrschenden Hass auf alles Gute. Dieser zentrale Antrieb verbindet sie mit anderen, die wie sie das Ziel verfolgen, jeden zu vernichten, der in Freiheit lebt und nach Besserung trachtet. Dieses Ziel - die Vernichtung alles Guten - ist es, die ihre Leidenschaft anfacht.
Letztendlich ist diesen Leuten das Leben selbst verhasst, sie fühlen sich den Herausforderungen des Daseins nicht gewachsen. Die Notwendigkeit, sich der Welt zu stellen, so wie sie tatsächlich ist, ist ihnen ein Gräuel, also trachten sie danach, auf einem kürzeren Weg ans Ziel zu kommen. Statt selber hart zu arbeiten, entscheiden sie sich für die Vernichtung derer, die dies tun. Statt etwas Sinnvolles zu schaffen, versuchen sie, anderen ebendies zu nehmen.« »Mit anderen Worten, obwohl Ihr nichts Genaues über diese Sechs wisst, vermutet Ihr, dass sie sich aufgrund ihrer Natur anderen von Hass getriebenen Personen anschließen wird.« »Genau so ist es«, sagte Ann. »Und was besagt das?«
Am unteren Treppenende angekommen, blieb Nicci kurz stehen, legte ihre Hand auf den Treppenpfosten und tippte, den starren Blick gedankenverloren geradeaus gerichtet, mit dem Fingernagel auf den weißen Marmor. »Es besagt, dass sie sich letztendlich mit denen zusammentun möchte, die die beiden anderen Kästchen haben: die Schwestern der Finsternis. So sehr sie sich in ihren Uberzeugungen unterscheiden mögen, ihr Hass vereint sie.« Ann lächelte bei sich. »Sehr gut, meine Liebe.« »Sie selbst kann mit dem Kästchen nichts anfangen«, dachte Nicci schließlich laut nach. »Was bedeutet, dass sie es sich als Unterpfand für einen Handel verschafft haben muss. Mit seiner Hilfe will sie sich selbst Macht verschaffen. Nach dem Fall der Großen Grenze erschien ihr die Neue Welt angreifbar, sie ersann einen Plan und entwendete schließlich, was Shota hier in der
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