Konigs-Schiessen
waren sie müde und froren. Die Heizung im Schützenhaus hatte der Wirt schon um Mitternacht abgeschaltet. Er war gegen drei ins Bett gegangen, aber seine Frau hatte ihnen noch zwei Thermoskannen mit Kaffee hingestellt.
In ihren klammen Kleidern und nassen Schuhen saßen Astrid und Toppe jetzt am Tisch und wärmten ihre Hände an den Kaffeetassen. Nur Bongartz war noch bei ihnen.
Astrid schwirrte der Kopf. Sie hatte mit neun Leuten gesprochen, sich alles sorgfältig aufgeschrieben, aber jetzt, wo sie sich ihre Notizen durchsah, ergaben sie keinen Sinn und Zusammenhang.
»Wundern Sie sich nicht«, meinte Toppe nur. »Je mehr Zeugen da sind, um so widersprüchlicher sind die Sachen, die wir zu hören kriegen.«
»Zeugen! Keiner von denen war doch wirklich direkt dabei.«
»Trotzdem kann immer was Wichtiges darunter sein. Wir gucken uns das heute mittag mal in Ruhe durch.«
Dann wandte er sich an Bongartz. »Sie kommen doch hier aus dem Dorf. Wie gut kennen Sie die Familie Verhoeven?«
»Gut. Hier kennt jeder jeden gut. Sind ja auch nur knappe 650 Leute, die hier wohnen. Aber ich weiß schon, was Sie fragen wollen. Wer wohl den Hein Verhoeven umbringen wollte. Aus dem Dorf keiner, Toppe, das können Sie mir glauben. Ich wüßt’ nicht, wer. Der Hein Verhoeven, dat wass ne guje Kerl, wie man hier sagt, eine Seele von Mensch. Überhaupt, die ganze Familie ist schwer in Ordnung.« »Ihm gehört die Bäckerei?«
»Nein, nicht mehr. Die hat der Sohn Klaus vor ein paar Jahren übernommen. Aber der Hein ist immer noch mit seinem Lieferwagen über Land gefahren. Nicht, daß sie’s nötig hätten, aber er kam immer gern unter die Leute. Und seine Frau, die Mia, die steht noch jeden Tag unten im Laden und verkauft.«
»Eine Menge Verhoevens. Wohnen die alle in dem Haus?«
»Nee, nee, der Klaus hat an der Post neu gebaut.«
»Und was ist mit dem Bruder, dem Tatzeugen? Die hatten doch denselben Heimweg.«
»Nein, der wohnt da nur, wenn Schützenfest ist. Der hat ja die schwerkranke Frau, um die sich immer einer kümmern muß. Während der Festtage macht das die Mia oder die Schwiegertochter, die Ingeborg. Die hadet ja auch nicht leicht, die Frau.. Nee, nee, der Wilhelm Verhoeven, der wohnt direkt an der Grenze. Der hat doch damals den großen Hof vom Vater übernommen.«
Toppe war deutlich verwirrt.
»Ich kann nicht behaupten, daß ich die Familienverhältnisse ganz durchschaue.«
Bongartz lachte. »Ist nicht so schwer.«
Aber Toppe konnte kaum noch seine Augen offenhalten.
» Na ja, ich werde wohl heute nachmittag mal versuchen, mit dieser ganzen Familie zu reden.«
»Und ich will mich mal umhören, ob es in letzter Zeit irgendwelchen Ärger beim Hein gegeben hat. Aber, wie gesagt, ich wüßt’ von nix. Und für’n Mord, nein, kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich hab’ eben gehört, daß hier viele Leute von außerhalb wohnen«, mischte sich Astrid ins Gespräch.
Bongartz nickte. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. »Einige. Es gibt ja immer mehr, die aus dem Ruhrpott raus wollen. Sind aber wohl alles ordentliche, ruhige Leute. Man hat ja nicht so viel mit denen zu tun. Ein paar sind auch nur am Wochenende hier.«
Toppe merkte, daß er nicht mehr aufnahmefähig war. Bongartz’ Worte drangen wie durch Watte an sein Ohr. Es hatte keinen Sinn mehr. Erstaunlich, wie fit Bongartz noch war. Er mußte über fünfzig sein, ein gutes Stück älter als er selbst; außerdem war er vorhin noch ganz schön angetrunken gewesen. Toppe streckte sich und stand auf. »Vielen Dank erst mal, Herr Bongartz. Ich melde mich sicher wieder bei Ihnen. Sie können uns bestimmt noch weiterhelfen.«
»Ist doch klar«, sagte Bongartz nur. Seine Sachlichkeit gefiel Toppe. Wahrscheinlich konnte ihm Bongartz eine Hilfe sein, wenn es darum ging, so einen Dorfklüngel, mit dem er selbst noch nie zu tun gehabt hatte, zu durchschauen. Es war angenehm, daß er nicht den beflissenen Übereifer an den Tag legte, der einem sonst oft bei unmittelbaren Tatzeugen begegnete.
Als sie nach draußen kamen, hatte es endlich aufgehört zu regnen, aber der Himmel war dick bewölkt, und es wollte nicht so recht hell werden. Sie gingen langsam zu ihren Autos, und Bongartz verabschiedete sich. Vom Friedhof her leuchteten ihnen die grellen Scheinwerfer entgegen, die die Polizei aufgestellt hatte. Der Erkennungsdienst war also immer noch bei der Arbeit.
Astrid gähnte ausgiebig. »Ich wüßte ja wohl, was ich jetzt am liebsten
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