Konigs-Schiessen
auf: »gegen 1.30 Uhr verläßt Wilhelm Verhoeven das Fest«. Kein Wort von Heinrich und Ingeborg. Das las er jetzt schon zum zweiten Mal. Dabei war Wilhelm doch zum Klo gegangen, und Heinrich hatte mit Ingeborg den Saal zuerst verlassen. Erst draußen hatten sie auf Wilhelm gewartet.
Er holte ein zerknautschtes Päckchen Eckstein aus seiner Hosentasche und zündete sich eine Zigarette an.
»Wißt ihr, wo Astrid steckt?« rief er zu Heinrichs und Breitenegger hinüber, die jetzt beide vor der Landkarte standen.
Breitenegger sah auf seine Armbanduhr, »Die ist schon seit fast einer Stunde beim Stasi. Irgendetwas an ihrem letzten Bericht hat ihm wohl nicht gefallen, soweit ich das verstanden habe.«
Toppe schüttelte den Kopf. »Möcht’ wissen, was das schon wieder soll. Der mischt sich wirklich überall ein, wo’s nur geht. Es ist wirklich kein Arbeiten mehr, seit der hier ist. Wir sind total unterbesetzt, machen jede Menge Überstunden, und der hält uns hier germanistische Vorlesungen. Na ja, mich läßt er ja seit ein paar Wochen in Ruhe.«
» Kann aber nicht mehr lange dauern. Gestern war er hier und hat gefragt, ob du mal wieder unterwegs wärst in Sachen Heimatroman.«
Toppe lachte bitter. »Soviel Humor hätt’ ich dem gar nicht zugetraut.«
»Sag mal«, Breitenegger musterte ihn eingehend, »bist du endlich auf eine Spur gestoßen?«
»Wieso?«
»Dein Gesichtsausdruck kommt mir so bekannt vor.«
Aber Toppe winkte ab. »Bis jetzt ist das nur eine ganz vage Idee, mehr so ein Gefühl eigentlich.«
»Dacht ich’s mir doch«, brummte Breitenegger zufrieden.
Astrid kam mit zornrotem Kopf hereingestürmt und knallte die Tür. »Dieser Machoarsch!«
Dann lief sie aufgescheucht im Büro hin und her.
»Nu, nu, Mädchen, immer mit der Ruhe«, Breitenegger schob ihr einen Stuhl hin. »Was ist denn passiert?«
Sie ließ sich auf der äußersten Stuhlkante nieder. »Es ist unglaublich! Nicht nur, daß der alte Knacker, der seit zwanzig Jahren keine Schulbank mehr gesehen hat, mir erzählen will, wie man heutzutage seine Berichte zu verfassen hat! Nein! Zum Schluß erzählt der mir auch noch seelenruhig, daß ich mich in Zukunft bitte angemessener zu kleiden hätte.«
Sie sprang wieder auf und strich sich über ihre engen schwarzen Jeans. » Was, bitte schön, ist daran nicht angemessen!«
»Na ja«, antwortete Heinrichs, »vielleicht meint der ja mehr Ihre Röcke.«
Aber sie hörte gar nicht hin, sondern fing an, sich mit flinken Fingern eine Zigarette zu drehen.
»Na, der wird sich wundern! Da gibt’s noch ganz andere Klamotten.« Toppe räusperte sich.
»Ich weiß nicht«, gab Breitenegger zu bedenken. »Ich wäre an Ihrer Steife ein bißchen vorsichtig. Der Alte sitzt am längeren Hebel.«
»Deshalb lauf ich doch nicht rum wie eine alte Jungfer! Gibt’s etwa eine Dienstkleidungsverordnung für Kripobeamte?«
»-tinnen«, griente Heinrichs.
Sie errötete und zündete sich hastig ihre Zigarette an.
»Oder hat Sie meine Kleidung jemals gestört?«
Breitenegger lächelte ein ganz besonders väterliches Lächeln.
»Ganz gewiß nicht.«
»Oder dich?« sprach sie Toppe direkt an.
»Nein.« Er sah zum Fenster hinaus. Gegenüber an der Tankstelle schalteten sie gerade die Weihnachtsbeleuchtung ein. Übermorgen war schon der dritte Advent, und er hatte immer noch kein Geschenk für Gabi.
Heinrichs und Breitenegger tauschten einen Blick, den Toppe sehr wohl wahrnahm.
»Guckst du dir das hier mal eben an?« Er hielt ihr das Blatt hin.
Astrid seufzte tief und drückte die angerauchte Zigarette aus.
»Hast du auch was an meinen Berichten auszusetzen?« fragte sie spitz und rutschte mit ihrem Stuhl neben Toppe an den Schreibtisch.
»Unsinn! Es ist nur: Der Pastor sagt, Wilhelm sei gegangen. Von Heinrich und Ingeborg steht da gar nichts.«
»Moment.« Sie überflog den Bericht.
»Nein, davon hat er auch nichts gesagt. Ist das wichtig?«
»Vielleicht. Hast du mal die Telefonnummer vom Pastor da?«
Sie kramte eine Weile in der Mappe und fand schließlich die Liste mit den Adressen und Telefonnummern, die sie angelegt hatte.
Toppe holte den Pastor aus seinem Nachmittagsschlaf, aber er war trotzdem nicht unfreundlich.
» Natürlich bin ich sicher, daß es Wilhelm war, der gegangen ist. Ich habe mich doch noch von ihm verabschiedet und bin dann zur Theke gegangen. Wann Heinrich gegangen ist, weiß ich gar nicht. Als ich zur Theke ging, war er jedenfalls noch da.«
»Ja, sicher sahen sich die
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