Konigs-Schiessen
Tanz.
»Herrgott! Du stehst mir auf der Schleppe«, stieß die Königin hervor und warf ein strahlendes Lächeln in Richtung Ehrenmitgliedertisch.
»Wenn du nicht schon wieder die Hacken voll hättest, würdest du nicht so dämlich stolpern«, zischte ihr Gemahl und packte sie fester.
»Moment mal, wer hat denn wen heute morgen nach Hause geschleppt?« Sie schenkte ihm ein perlendes Lachen.
Sigrid Pastoors war im Dorf als trinkfreudig bekannt. Im Vorstand hatte man scherzeshalber mit dem Gedanken gespielt, diese Tatsache in den königlichen Beinamen einfließen zu lassen –,Sigrid die Sektselige’ war noch der freundlichste Vorschlag gewesen.
Die Proklamation der neuen Königin hatte mit den ganzen Zeremonien drumherum lange gedauert, und jetzt, um halb zehn abends, hatte man dem,Bier für die Herren’ und dem,Sekt für die Damen’ schon reichlich zugesprochen. Die Schützen hatten längst ihre Hüte und Jacketts abgelegt, die Schlipse gelockert und saßen hemdsärmelig an den langen Tischen. Aber nicht nur die Kleidung war am dritten Tag des Schützenfestes ziemlich ramponiert.
Die Ehefrauen harten heute morgen vor der Messe noch ein letztes Mal die dunklen Hosen mit schwarzem Kaffee aufgebürstet. Der Kaffeegeruch, vermischt mit heißem Schweiß und dreitägigen Alkoholdünsten, untermalt von Echt Kölnisch Wasser und Cleopatra Deo hing wie eine feuchte Wolke über allem. Es war stickig, und auch die Ehefrauen hatten mittlerweile ihre Häkelstolen, weiß oder pastellfarben mit Lurexfaden, über die Stuhllehne gehängt. War auch der Krönungsball der alljährliche Höhepunkt des Schützenfestes, so nahm es doch nach drei Tagen ununterbrochenen Feierns keiner im Dorf mit der Etikette mehr so genau. Nur das Königspaar mit seinem Gefolge mußte noch eine halbe Stunde bis zum Fototermin durchhalten.
Sigrid die Segensreiche war gleich nach der Präsidiumssitzung, bei der festgelegt worden war, daß »es« dieses Jahr endlich Gerd sein sollte, zu Raatz nach Wissel gefahren, um sich ein Kleid zu kaufen, mit dem sie alle anderen in den Schatten stellen konnte. Mit der Kreation, die sie trug, war es ihr wahrhaftig gelungen: figurbetont, aus resedagrünem, glänzenden Kunstsatin, bodenlang mit kleiner Schleppe, auf der Brust ein goldgestickter, in reichen Applikationen schillernder Pfau mit roten und grünen Glassteinen.
Der Altbürgermeister von Kleve, der als Ehrengast geladen war, verabschiedete sich soeben mit ausgiebigem Händeschütteln von Wilhelm Verhoeven, dem Ehrenvorsitzenden des 1710 e.V. Verhoeven, gestern erst mit der Ehrennadel für 55jährige Vereinstreue ausgezeichnet, blieb stehen, sein Bierglas fest in der Hand, bis der Altbürgermeister im Gewimmel der Tanzenden verschwunden war.
»Na, da trinken wir doch noch ein’. So jung kommen wir nicht mehr zusammen, wat Willi? Prost!« Jemand schlug ihm von hinten auf den Rücken.
»Ja, ja«, brummte Wilhelm Verhoeven und setzte sich wieder. Er hatte seinen Sohn im Blickfeld, der zwei Tische weiter gerade die Kellnerin auf seinen Schoß zog.
Peter Verhoevens Gesicht war schon gerötet, die Augen matt.
»Komm her, Toni, mein Schatz«, lärmte er und griff der Kellnerin an den tiefen Ausschnitt ihres lila Pullovers.
Sie gackerte und klapste ihm auf die Finger. Die Schützenbrüder am Tisch grölten und rissen ihre Witze.
»Komm mit raus«, raunte Peter Toni ins Ohr, aber sie stand auf und zischte: »Spinnst du? Ich hab’ zu arbeiten.« Dann packte sie ihr Tablett und stakste hüftwackelnd zur Theke zurück.
»Na, dann eben nicht«, lallte Peter und machte sich unsicheren Schrittes auf den Weg zum Klo. Als er zurückkam, traf er an der Theke, wo die Rauchwolken am dicksten hingen, all jene, die Doppelkorn- und Kümmerlingrunden dem Tanzvergnügen vorzogen.
»Ach, da haben wir ja unseren Don Schuan«, grölte einer. »Sach, hast du dir mal die Weiber von der Mühle genauer angeguckt? Also, die eine von denen, ’n ganz heißes Gerät.«
Peter verzog verächtlich den Mund. »Nee, Horst, diese Weiber können mir getrost gestohlen bleiben. Was hab’ ich mit Eterik am Hut?«
»Esoterik, lieber Verhoeven, Esoterik.« Es war der Pastor, der ihn da korrigierte.
»Sag ich doch«, erwiderte Peter betreten. »Die wollen Ihnen wohl ins Handwerk pfuschen, was, Herr Pastor?«
Von hinten tippte ihm Toni auf die Schulter und drängte sich dicht an ihn heran. »Morgen abend könnt’ ich. Wie üblich, ja?« flüsterte sie und wischte mit einem Lappen auf der
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