Konny Reimann
die für derlei Dinge zuständig war, und erzählte ihr von meinen Plänen. „Zeichnen Sie mal auf, wie das in etwa aussehen soll“, sagte sie gelassen. Ich nahm ein Stück Papier und malte so gut es ging auf, was ich vorhatte. Sie sah den Wisch einen Moment lang an, sagte, alles, worauf ich achten müsse, sei, dass das Haus einen Meter vom Nachbarzaun entfernt sei. Fertig. „Das macht dann 16,– Dollar.“
Ich war keine drei Minuten in ihrem Büro gewesen und hatte mit einer eilig hingeworfenen Zeichnung eine Baugenehmigung erhalten. Ich konnte es nicht fassen. Deutsche Beamte hätten einen Herzstillstand erlitten bei einem solchen Szenario. Später am Moss Lake sollte es noch besser laufen. Das wenige, was an Bauvorschriften in amerikanischen Städten zu beachten ist, entfällt außerhalb der Ballungsräume ganz. Alles ist hier komplett deine eigene Sache: Privates Vergnügen oder Qual, je nachdem, wie man sich anstellt. Da kann man bautechnisch machen, was man will. Sollte ich jemals in einem Paradies landen, muss es ähnlich aussehen wie das Bauland Amerika.
ie Begegnung mit den typischen amerikanischen Traditionen war für uns keine große Sache und auch keine große Veränderung. Halloween stand zuerst an. Doch da das Fest in Deutschland den barmherzigen St. Martin längst von der Bildfläche gedrängt hatte, in der Popularität klar vorne lag und schon jahrelang ähnlich wie hier absolviert wurde, hatten auch wir, also Janina und Jason hauptsächlich, damit keine Probleme. Am 31. Oktober wurden Masken und Schminke rausgeholt und die Nachbarschaft vor die Entscheidung gestellt: „Trick or Treat“ – „Süßes! Sonst gibt’s Saures!“ Neu für uns waren nur die Verkleidungen im Mutterland des Überkandidelten. Sie sind hier einfach aberwitziger, und auch die Inszenierungen um den Termin herum wirken ausufernder, ungezwungener und wesentlich bunter als in Deutschland.
Nachdem wir den stressigen Umzug, die turbulenten ersten Tage und Wochen gut überstanden hatten, ein Dach über unserem Kopf stand, zumindest ich einen Job und eine neue Werkstatt hatte und die Kinder in der Schule gut untergebracht waren, kam der erste Winter im neuen Land – und mit ihm Manus amerikanischer Führerschein. Sie machte ihn als Erste von uns allen. Zunächst bestand sie am 21. Dezember den theoretischen Test, dann einen Tag vor Silvester auch den praktischen. Keine 24 Stunden nach ihrer ersten Prüfung fiel der erste Schnee in Gainesville. Pünktlich zwei Tage vor Weihnachten. Eigentlich schön, weiße Weihnachten an einem Ort, der einen sonst das ganze Jahr über mit angenehmen Temperaturen versorgt. Aber dieser Gedanke war keinen Tag alt, da war er schon wieder sprichwörtlicher Schnee von gestern. Einen einzigen Tag währte die weiße Pracht, das war’s mit dem Winter, folks.
Aber auch ohne Schnee war Weihnachten für uns ein wichtiges Datum. Manu und ich sind beide sehr versessen auf bestimmte Traditionen. Am 24. Dezember muss ein gescheiter Baum im Zimmer stehen, und dieser wiederum muss dann auch gescheit dekoriert sein. Wie genau der grüne Freund behangen wird, darüber gibt es allerdings sehr unterschiedliche Ansichten.
Während Manu eher auf Kugeln und Kerzen setzt, bin ich der Lametta-Typ. Ein Baum ohne silberne und goldene Fransen ist für mich eigentlich gar kein Weihnachtsbaum. Da dieser Konflikt jedoch wenig Spielraum für einen Kompromiss zulässt, haben wir vor langer Zeit schon entschieden, dass jede Partei ihr eigenes „Schmückjahr“, immer abwechselnd, bekommt. In jenem Jahr, an unserem ersten Weihnachten weit weg von den Märkten in und um Hamburg, wollten wir, wie wir es auch immer in Deutschland gemacht hatten, am 24.12. morgens einen Baum kaufen, ihn dann schmücken und dann am Abend das Weihnachtsessen bereiten. Kein Problem, dachte ich. Ich fuhr los, aber Gainesville ist in Sachen Weihnachtsbaum eben nicht Hamburg (und eigentlich auch sonst nicht). Ich suchte alles ab. Überall, wo ich hinkam, waren die Dinger schon ausverkauft. Die Amerikaner, so erfuhren wir in jenen Tagen, kaufen ihren Weihnachtsbaum immer schon Wochen vorher. Also kam ich zurück und konnte nur mit den Achseln zucken – kein Baum, die Katastrophe drohte. Glücklicherweise fiel uns noch Werner ein, inzwischen auch einer unserer guten Bekannten, auf dessen Ranch mit viel Land und einem Stück Wald auch Jan seinerzeit noch wohnte. Werner sagte, das sei kein Problem, wir sollten einfach vorbeikommen
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