Konny Reimann
sich dort etwas umgesehen, um irgendwann mal weitere Optionen zu haben. Es war klar, dass sie ihr Dasein nicht an einer Tankstelle fristen wollte, auch wenn der Chef sehr nett und die Gelegenheit, überhaupt zu arbeiten, eine gute war. Gleich vor Ort auf der Job-Börse hatte Manu ein Job-Interview mit den Kasino-Leuten. Und obwohl sie damals noch nicht brillant Englisch sprach, waren ihre zukünftigen Glücksspiel-Kollegen sehr angetan von ihr. Amerikaner fackeln bei so etwas nicht lange. Keine Gefangenen. Manu schien gut und tüchtig zu sein, also sollte sie dort arbeiten. Wann? Sofort!
Nun sieht Manu nicht unbedingt wie eine Schwerverbrecherin, Terroristin oder Drogenschmugglerin aus, aber auch sie konnte und wollte sich nicht der hier obligatorischen Prozedur von Fingerabdrücken und Drogentest entziehen, die man zum Antritt bei einer neuen Arbeitsstelle absolvieren muss. Am nächsten Tag sollte bereits das Berufstraining sein. Keine halben Sachen. Die Tankstelle musste folglich sehr schnell ohne ihre Dienste auskommen. Chips, Karten, Geld und Banditen mit nur einem Arm und großer Unterlippe, in der sich die Münzen sammelten, warteten schon auf sie.
Am 16. März 2005 kam schließlich Manus erster Arbeitstag. Das WinStar-Kasino wird, wie die meisten anderen Kasinos in Amerika auch, von Indianern geleitet. Das hängt nicht nur mit dem traditionell ausgeprägten Spieltrieb der Indianer zusammen. Ich weiß nicht, ob das als eine permanente Entschuldigung gelten kann für das, was den Indianern in der Geschichte Amerikas angetan wurde. Auf jeden Fall wollten die Weißen wohl etwas gutmachen. Die Indianer müssen fast keine Steuern zahlen und bekommen den Betrieb von Kasinos auch an solchen Orten zugesprochen, wo das Glücksspiel ansonsten verboten ist. Das Gesetz, das die Grundlage hierfür bildet, ist schon uralt, gilt aber heute noch. Im Glücksspielmekka Las Vegas herrschen indes andere Regeln. Hier sind es nicht die Indianer, sondern größtenteils die Mafia, die die Strippen zieht. Für die Indianer, die sich zur Verteidigung ihrer Rechte in der National Indian Gaming Association zusammengeschlossen haben, bedeutet der ungehemmte Kasinobetrieb natürlich auch die Gefahr, in Spielsucht und Alkoholabhängigkeit abzurutschen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die erste Zeit bei WinStar war nicht einfach für Manu, zumal ihre Vorgesetzten nicht viel von langwierigen Einarbeitungszeiten hielten. Einen Tag sah sie einer Kassiererin zu, am nächsten Tag saß sie auf deren Platz. Geld auszahlen, ein paar nette Worte für die Kundschaft bereithaben und Auskunft geben. Das alles mit dem hier immens wichtigen Service-Gedanken im Kopf und natürlich mit dem richtigen und verständlichen Ami-Englisch. Ich muss sagen, Manu hat sich mehr als tapfer geschlagen, sich sehr schnell in ihrem Job eingefunden, und auch ihre Chefs waren beeindruckt. Berücksichtigt man noch, dass nicht wenige Kunden aus dem Südwesten der USA stammen und somit einen Dialekt sprechen, der sich anhört, als würden sie bei jeder Silbe einen Klops Kautabak von einer Mundseite zur anderen wälzen, kann man ihr nur gratulieren.
Manu wandte hierfür einen nicht zu unterschätzenden Trick an: Sie lernte sehr schnell, was für Leute zu ihr an die Kasse traten und was diese an Nichtig- oder Wichtigkeiten zu sagen hatten. Meist waren es nur Höflichkeitsbekundungen, irgendein stereotyper Satz, wie er an zigtausenden von Kassen oder Countern im ganzen Land im Sekundentakt ausgespuckt wird. Manu war sehr gut darin, zu unterscheiden, welche Sätze wichtige Informationen enthielten und welche lediglich das schöne Wetter, den bisherigen Verlauf des Tages oder die ein oder andere Gruß-Variante beinhalteten. Die „chinesische“ Version ihres Reaktionsalbums war ein schönes Lächeln, hier und da garniert mit einem „How’re ya doin’?“ Natürlich verstand sie schnell immer mehr, und formvollendete Antworten ließen nicht lange auf sich warten. Außerdem lebten wir zu diesem Zeitpunkt ja schon mehrere Monate in Texas.
Einmal jedoch traten zwei Herren zu ihr an die Kasse und nuschelten derart unverständlich ein paar Sätze in den Raum, dass selbst deren eigene Mutter Schwierigkeiten gehabt hätte, sie zu verstehen. Manu verwandelte sich umgehend in ihre chinesische Inkarnation und tat ihr Bestes, dem Gesagten höflich und mit einem breiten Lächeln zu begegnen. Der Wortführer hielt inne, blickte sie einige Sekunden lang an, wandte sich
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