Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
wie eine
Momentaufnahme. Das rituelle Selbstaufnehmen vor der Webcam des Rechners immer in der gleichen Position zeigt Veränderung
und Vergänglichkeit, aber auch zugleich Momente der Ewigkeit des Selbst, da das Gesicht gleich bleibt. Die mühevolle, rituelle
tägliche Aufnahme im beinahe (natur)wissenschaftlichen Versuchsaufbau steht der automatischen Komposition der Einzelbilder
durch eine Software gegenüber. Der Clip erzeugt durch die Permanenz des Blicks in der Verkettung der Bilder einen tranceartigen
flow-Zustand
. Die Bilder sind so schnell hintereinander geschaltet, dass Urteile über Noah, sein Outfit oder die Umgebung nicht getroffen
werden können, dieser Ego-Clip zeigt kein Individuum. Die schnelle Bildfolge erinnert an den Aufnahmestil bei Naturaufnahmen,
die im Zeitraffer das Wachsen von Pflanzen zeigen. Bei Noah wächst nichts, um zu bleiben, Haare, Bart und Augenringe erscheinen
und verschwinden sofort wieder. Noah Kalinas Clip steht für Vergänglichkeit und Endlichkeit. Er ist damit eine zeitgenössische
Form des
memento mori
und eine mediale Vanitas-Darstellung, steht gleichzeitig aber auch für die Ewigkeit der eigenen Bilderwerdung. Der Clip wird
vom Tagebuch zum Tagebild und schließt an Praktiken und Stile der Handy-Fotografie an (ein sog.
phlog
, ein Foto-Weblog).
Das Muster des Videos, das 9,3 Millionen Aufrufe, 60.000 Bewertungen, 45.000 Textkommentare und 77 Videoantworten verzeichnet,
ist schnell durchschaut. Das ermutigt ausdrücklich zu eigenen Produktionen. Es gibt es zahlreiche Videoantworten, die sich
um Bart- oder Haarewachsen oder Abnehmen drehen. Sie versuchen vor allem Noah zu übertreffen, zum Beispiel durch einen noch
längeren Zeitraum, die Darstellung anderer Prozesse ganz im Sinne des Wettbewerbscharakters der Web 2.0-Erzeugnisse. Hergestellt
ist der Clip mit Windows Movie Maker, diese Software macht automatisch aus Einzelbildern eine Diaschau, die vertont werden
kann. Noah Kalina knüpft mit seiner intermedialen Arbeit an die traditionelle Kategorie des Fotofilms als Schnittstellen-Medium
zwischen Film und Fotografie an. Das Video ist auch in den Kontext von medialen Vorläufern im Internet 1.0 zu stellen, wie
das
mirror project,
11 das auch in Flickr weitergeführt wird oder Alberto Frigos im Netz präsentiertes Projekt
Sobject
. 12
|237|
The Hauntening by: waverlyflams
Dieses Beispiel 13 inszeniert eine Alltagsgeschichte im Hitchcock-Stil mit Stopptrick Elementen. Der Clip beginnt mit einer Gasflamme im Closeup
und bedrohlicher Musik. In einer Küche werden siedendes Wasser im Topf und ein Toaster gezeigt. Dann blickt die Kamera durch
einen Türrahmen im Korridor auf eine Frau, sie beginnt Bohnen in den Topf schütten. Dann fallen die Bohnen herunter und formieren
sich zu Buchstaben und den Worten:
look behind you
.
Abbildungen 1 und 2: Videostills aus: The Hauntening
(Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=tFRhs3-pP8w, 11.08.2008)
Ein unheilvoller Ton setzt ein, die barfüßige Frau erscheint verletzlich. Sie wird von hinten und im Spiegel gezeigt und dreht
sich langsam um, dann erscheint ein
look at the floor
in den bunten Buchstaben von einer Kindermagnettafel auf dem Kühlschrank. Sie dreht sich etwas, der Ton wird klirrend: Auf
dem Boden formt sich aus den Bohnen
now look at the fridge
. Das nächste Bild lenkt den Blick wieder auf die Kindertafel:
wait i´m
confused
, ein eher lustiger Satz, aber der Sound bleibt bedrohlich. Die nächste Einstellung zeigt die Bohnen, mit dem Satz:
idiot yoúre supposed to
spell something scary
. Die Kindertafel antwortet mit
salmonella poisoning
. Die Bohnen formen ein
no
. Auf der Tafel wird das Wort:
stegosaurus
angeordnet. Die Bohnen antworten:
stop
, und die Tafel in einer sehr kurzen Stopptricksequenz:
tooth decay
. Bohnen:
just forget it moron
. Dann erschreckt die Frau und zuckt zusammen, der Ton wird schneidend. Die nächste Einstellung zeigt, dass die Buchstaben
auf der Tafel durcheinander gewirbelt |238| sind, auch die Bohnen liegen nur noch aufgehäuft zusammen, vielleicht eine Entwarnung der beseelten belebten Gegenstände.
Die Frau streicht sich nach überstandenem Schrecken durch das Gesicht, sammelt die hingefallenen Bohnen auf, tut sie wieder
in den Topf. Es folgt ein langsamer Schwenk über ihren Nacken zurück auf die Tafel, die Kamera zoomt auf die wieder formierten
Wörter:
Burn
lässt sich unter unheilvoller Musik lesen. Es findet ein animierter
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