Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
und eine nähere Untersuchung der damit verbundenen Handlungsweisen
und Alltagsstrategien kommt in diesen Ansätzen nicht vor. Die Alltäglichkeit des Konsums und die Vorstellungen über die Rolle
von Konsum in der Perspektive des Konsumenten wurden dabei kaum beachtet. Sind die Kulturwissenschaften also an der Aufgabe
gescheitert, eine adäquate Beschreibung des Konsums vorzulegen?
Ist eine Ethnographie des Konsums möglich?
Angesichts der gleichzeitigen Unter- und Überschätzung ist es nicht abwegig, das Verhältnis zwischen Konsum und Kultur mit
der Fabel vom Hasen und dem Igel zu vergleichen. Der schnelle Hase, Ethnologie und andere Kulturwissenschaften, glaubt sich
dem hässlichen kleinen Igel, dem Konsum, weit überlegen. Am Ende des Wettrennens aber ruft der Igel, (also der Konsum): »Ätsch,
ich bin schon da.« Konsum ist an allen Orten, er greift in seiner Eigenlogik in alle Bereiche des Alltags ein und determiniert
Felder, von denen die Kulturwissenschaftler gerade noch glaubten, sie lägen im Bereich ihrer Kompetenz.
Aber, vor einem solchen zynisch anmutenden Fazit lohnt es sich, einen weiteren Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung
in den Blick zu |29| nehmen: Die so genannte Konsumforschung, die sich selbst für zuständig hält für den alle Bereiche des Alltags durchdringenden
Konsum. Die Konsumforscher heben hervor, in welch hohem Maße Konsum das Ergebnis ihrer Analysen und Prognosen ist. Zeitschriften
wie das
Journal of Consumer
Policy
, das
Journal of Consumer Culture
oder die
Advances of Consumer Research
dokumentieren die erstaunliche Karriere dieses Faches in den letzten dreißig Jahren. Die dort publizierten Studien informieren
über das Verhalten und die Wertorientierungen von Konsumenten, also Käufern bestimmter Güter und beziehen sich vielfach auf
die erwähnten Autoren Pierre Bourdieu und Mary Douglas. Ziel der stets auf umfänglichen Feldstudien aufbauenden Untersuchungen
ist es, Zusammenhänge von Konsummustern und sozialen Lagen, Altersprofilen und Milieus zu beschreiben.
Der Ethnologe Kalman Applbaum (1996) ist in einer kritischen Bewertung der Konsumforschung noch weitergegangen und hat die
These diskutiert, ob nicht diese Forschungsrichtung die beste »Ethnographie des Alltags« darstelle. Unabhängig von der in
dieser These enthaltenen offenen Provokation gegenüber der Ethnologie beruht die Plausibilität von Applbaums Argument jedenfalls
auf der Intensität und Sorgfalt, mit der Konsumforscher ihre Studien durchführen. Ginge es lediglich um das empirische Wissen
darüber, wie Konsummuster eine Gesellschaft strukturieren und wie verfügbare Ressourcen für den Konsum von Gütern eingesetzt
werden, dann ist nicht an Aussagekraft und Präzision der Konsumstudien zu zweifeln. Auch kausale Zusammenhänge, also die Frage,
warum neuer Konsum von bestimmten Gruppen in einer Gesellschaft angenommen wird, in anderen Kontexten aber ohne Bedeutung
bleibt, werden denkbar sorgfältig untersucht. Auch für Bedürfnisstrukturen und den Wandel von dem, was als »Grundbedürfnis«
beziehungsweise als »Luxus« angesehen wird, sind Konsumforscher die richtigen Ansprechpartner.
Wenn Konsumforschung eine so umfassende Kompetenz aufzuweisen hat, welche Rolle spielt dann die Ethnologie in diesem Feld
überhaupt noch? Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Rückgriff auf die eingangs erläuterten Thesen Benjamins nützlich. Sein
zentrales Erkenntnisinteresse war ja: Was ist Konsum? Offensichtlich fehlt der Konsumforschung ein Zugang zu dieser Frage.
Die Ethnologie hingegen ist durchaus in der Lage, über das »Wie?« hinauszugehen und das Phänomen des Konsums als solchem zu
ihrem Gegenstand zu machen.
Aus einer reflektierten ethnologischen Perspektive ist die Konsumforschung offensichtlich das Ergebnis von Verkürzungen: Konsumforschung |30| verharrt in der Beschreibung der unendlichen Verästelungen der Traumwelt (in der Begrifflichkeit Benjamins). Sie hat den Status
eines Chronisten der Träume und des passiven Weltverhältnisses, aber ihr fehlt eine Dimension: Sie ist nicht in der Lage,
eine kritische »Anthropologie des Konsums« zu entwerfen. Im Gegensatz zur Konsumforschung wissen Ethnologen, dass es andere
Lebenswelten gibt, außerhalb der Konsumwelt. Wie aber wären die Unterschiede zwischen Konsumwelt und anderen Lebenswelten
zu beschreiben? Wie ist es möglich, sich mit dem Konsum zu beschäftigen, ohne in die endlosen
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