Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
wollen‹.
Andererseits: ›Polarisierung ist immer gut und zeigt auch, dass eine künstlerische Arbeit lebt.‹« (N.N. 2004: 15)
Guerilla in Ordnungen: Typen von Hochkonsumguerilleros
Innerhalb der von ihr als zunehmend deformiert aufgefassten (Hoch-) Kultur (vgl. van der Horst 2006: 284–297) sieht sich unsere
offenbar gar nicht einmal so neue, elitäre Konsum- und Kulturguerilla als Gegenkultur. Vertrackter noch, verachtet sie nicht
das Prädikat
Kultur
, wohl aber vieles, was sich unter diesem begrifflichen Deckmantel verbirgt. Sie begreifen sich als Saboteure wider die kulturelle
Sabotage und sehen ihre Mission darin, Kultur zu bewahren, und das als solche Ausgestellte, Inszenierte, Musizierte, das sich
dem Konsens entzieht, als die eigentliche Gegen- oder Antikultur zu brandmarken. Ausgerechnet diese Anti-Konsumguerilla-Konsumguerilla
(vgl. Jacke 2004: 266–269) ist es, die bis heute mit kulturfundamentalistischen |281| Positionen eine Musealisierung der Kunst betreibt, indem sie Standards setzen und Prozesse abwehren will.
Damit ist aber lediglich eine, wenn auch die markanteste Erscheinungsform einer Guerilla umschrieben, die wir hier Kulturguerilla
erster Ordnung 11 nennen:
Die Kulturterroristen
. Für sie verschmilzt der eigene Einsatz mit künstlerischen Inhalten, sie werden zum Eigenproduzenten innerhalb der übergeordneten
Produktion, die vermeintlich mit gleichen Mitteln arbeitet, um Wahrnehmungsmuster und Deutungsschemata des Publikums zu erschüttern.
In Bayreuth sind dies die Alt-Wagnerianer, unerbittliche und in ihrem Kanon unhintergehbare und intolerante Hardliner. Musikalische
Abweichungen und inszenatorische Andersartigkeiten im Festspielhaus werden mit seismographischer Empfindlichkeit registriert,
die Eruption lässt nicht lange auf sich warten. Sie sind die Guten und als solche privilegiert, zu jeder Zeit und in jeder
Form gegen das Böse vorzugehen.
In der Kulturguerilla zweiter Ordnung finden wir
die Kulturtouristen
, die sich durch Kunstergebenheit und eine eng damit verbundene Kritiklosigkeit auszeichnen. Sie reisen den Lang Langs und
Netrebkos dieser Kunstwelt entweder hinterher oder kehren in einem rituellen Turnus oder unregelmäßigen Abständen in ihre
erklärten Weihetempel ein, in das Berliner Ensemble genauso wie zu den Salzburger Festspielen. Sie sind die pilgernden Guerilleros,
die gläubigen Konsumenten der so genannten Hochkultur. In Bayreuth bemühen sie sich regelmäßig um Karten, die sie genauso
regelmäßig nicht bekommen. Sie sind sich dann aber auch nicht zu schade, vor dem Festspielhaus zu campieren, um auf Schildern
auf ihre Kaufbereitschaft hinzuweisen. Mitunter kommt es zu ungewöhnlichen Allianzen zwischen Kulturterroristen und -touristen,
nämlich wenn erstere eine Vorstellung in der Aktpause wutentbrannt verlassen und ihre Karten den Campern zur Verfügung stellen
– meistens gegen Abschlagszahlung, immer spöttisch kommentiert. Beiden Ordnungen gegenüber steht die Kulturguerilla dritter
Ordnung:
Die Kulturtheoristen
. Sie setzen sich weiterverarbeitend theoretisch auseinander und suchen Integration in der künstlerischen Praxis, nicht um
der Störung, sondern um der Teilnahme sowie der Anteilnahme, der Reflexion willen. Sie sind unverkrampft und unauffällig,
offen dem gegenüber, was künstlerisch geboten wird. In Bayreuth sind sie deshalb nicht mehr als eine Randerscheinung. Die
Kulturtheoristen nehmen ihren Festspielhausbesuch als womöglich einmalige Chance und bis zum Ende |282| der Vorstellung wahr. Der Vorplatz zum Festspielhaus ist für sie ein Meinungsmarkt, auf den sie sich anschließend interessiert
begeben. Sie sind durchaus kritisch, in ihrem Urteil aber selten vernichtend. Und wenn doch, dann versuchen sie, es deutlich,
aber dennoch ausgewogen zum Ausdruck zu bringen, wenn möglich auf der Meta-Ebene der Beurteilung von Beobachtung von Beobachtung.
Nachspiel: Ritual und Konsum
Diese Typologie in drei Ordnungen, die zweifellos feingliedriger ausfallen kann, soll hier nur angerissen sein. Sie könnte
einen Anlass zum Einstieg in eine medienkulturwissenschaftliche Diskussion bieten, innerhalb derer die so genannte Hochkultur
in Produktion, Distribution sowie Rezeption und Weiterverarbeitung auf eine (pop-)kulturelle Ebene heruntergebrochen, in ihrer
Betrachtung damit zugleich aber aufgewertet wird. Ganz ähnliche Mechanismen laufen auf den verschiedenen Stufen des
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