Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Kommunikations und Marketingguerilleros speisen. Zweitens, indem wir aus der Richtigstellung heraus Parallelen
zu jenen Gegenöffentlichkeiten ziehen, wie sie sich heute in Bayreuth, Berlin, München, Salzburg und diversen Hoch(kultur)
burgen tummeln, und drittens anhand einer, wenn auch zunächst nur groben Typologisierung dieser konservativen Guerilla in
drei Ordnungen. Dass deren Vertreter in ihrer eigens auferlegten Funktion als kritische Rezipienten und Genießer, sprich Konsumenten,
alles andere als im Untergrund tätig sind, sollte sich dabei von selbst verstehen, erst recht, wenn wir bedenken, wie sehr
die kulturellen Großereignisse insbesondere im Zuge ihrer massenmedialen Vermarktung im öffentlichen Fokus stehen. 4 Der Auftritt der Konsumguerilla, um die es hier geht, zeichnet sich aber gerade |275| dadurch aus, dass er an Subversion kaum noch zu überbieten ist, will er doch den mutmaßlich subversiven Elementen – Regietheaterregisseuren,
Bilderstürmern und -zertrümmerern, »Theaterhassern und Dreckverehrern« (Stadelmaier 2004: 30) – entweder an den Kragen oder
sie sich durch die Beförderung zum Star gefügig machen. 5 Er verfolgt ein restauratives Ziel namens Tradition, die Wahrung von Anstand und Sitte nach den Regeln der Kunst, wie sie
ungeschrieben stehen. Mit anderen Worten: Diese Konsumguerilla ist reaktionär. In ihrer Exklusivität will sie vor allem eines
gewahrt sehen – den Mainstream um sich von ihm abzugrenzen – und um sich innerhalb der Abgrenzung einer in ihrer ganzen Heterogenität
ausgesprochen homogenen Populärkultur anzuschließen. Sie wollen alles. Die Guerillamethode, von der hier die Rede ist, ist
die Beifalls- oder Unmutsbekundung. So unerheblich sie beim ersten Lesen erscheinen mögen, so sind es doch stabilisierende
beziehungsweise destabilisierende Codes. Urteilssprüche mit mitunter weitreichenden Folgen. Zur wichtigsten Premierenmeldung
der Opern-, Konzert- und Theaterkritik gehört regelmäßig auch die Information darüber, in welcher Lautstärke oder wie lang
anhaltend applaudiert oder gebuht wurde. Diese Pressemeldung ist die Nachricht von der Existenz unserer Konsumguerilla, der
Guerilla neuer Ordnung. 6
Muff ’68: Quellen von Kommunikation und Marketing
Die Guerilla alter Ordnung geriert sich als praktiziertes Missionartum, das gegen das klassische Establishment in den Kleinkrieg
zieht, egal ob es sich in Politik, Wirtschaft, Werbung, Kunst oder Pop manifestiert. Als gleichbleibende Taktik wählt sie
die Subversion. Peter Weibel formuliert dies |276| nostalgisierend und mit den ebenfalls älter gewordenen
Rolling Stones
: »Ungenügend ist diesen Hungrigen die vorgesetzte Suppe:
I can get no satisfaction!
Die alltägliche Suppe schmeckt nicht mehr. Als Piraten der gesellschaftlichen Codes durchbrechen sie diese, nachdem sie sie
durchschaut haben.« (2002: 9) Die alte Guerilla schlüpft nicht selten in die Rolle des ausgemachten Gegners und gibt sich
im Anschluss an ihr Outing als politisch und/ oder neo-ästhetisch motiviert. Davon zeugen Selbstbezeichnungen wie
Clowns Army
,
Radical Cheerleaders
oder
Mao-Dadaisten
, ebenso die am Fließband gelieferten Rückgriffe auf Roland Barthes (2000), Umberto Eco (1967) und, seit den achtziger Jahren,
Jay Conrad Levinson (1990). Die alten Kommandos, so neu sie hinsichtlich der Nutzbarmachung moderner Medien auch sind (
Electrohippies
,
Electronic Disturbance Theater
u.a.), pflegen ihre Anarchie gegen die als perfide, und in ihrer Perfidie als gleichschaltend und vereinnahmend wahrgenommenen
Strategien der Veralltäglichung des Konsums. Doch die linken Politiken, die die Guerilleros vertreten, erschöpfen sich permanent
in purem Aktionismus, während Trendforschung, Konsumindustrie und Medien längst das subversive Element für sich (wieder) entdeckt
haben. 7 Anlässlich der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007 mussten sich die Altvorderen des Widerstands zuletzt
den Vorwurf gefallen lassen, in ihrer Kritik an einer maßlos globalisierenden Welt ihrerseits zu einer Spaßgesellschaft mutiert
zu sein und dabei selbst kommerzialisiert wird: »Heute sind die Intensitäten der Überschreitung, des Anstößigen und anderer
Normverletzungen entscheidende Faktoren einer kapitalistischen Ökonomie der Affekte und Aufmerksamkeiten. Man findet den Zugang
zu ihnen auf den Märkten des Ereignisses.« (Holert 2007: 169) So ist auch die soziokulturelle
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