Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
Vom Netzwerk:
Relevanz der stereotypen Achtundsechziger,
     die der Historiker Götz Aly unlängst mit Blick auf ihre Elterngeneration stark relativiert hat, auch angesichts der Guerilla
     alter Ordnung in Zweifel zu ziehen oder zumindest abzuschwächen: »Chinesisch, kubanisch, sowjetisch oder trotzkistisch verfremdet
     veranstalteten sie nach den in Deutschland gebräuchlichen Regievorlagen eine Farce, die der Tragödie von 1933 folgte. Sie
     inszenierten eine Variante des politisch eindimensionalen Utopismus, auf dessen Trümmern sie groß geworden |277| waren.« (Aly 2008a: 20) 8 Viele ihrer revolutionär oder lediglich situationistisch eingeforderten Freiheiten endeten in den Führungsetagen des verteufelten
     Klassenfeindes und auf gut gepolsterten Lehrstühlen, also in bürgerlicher Sicherheit. Heute kompensieren sie ihre Weltverbesserungsansprüche
     in Menschlichkeit reklamierenden Firmenphilosophien, also ihrerseits in Slogans, oder in
After-Work-
Diskursen beim Italiener, gleichzeitig hat sich unter den Talaren der dozierenden Revoluzzer selbst schon der Muff angestaut.
    Kommune Bayreuth oder: Die Guerilla der Hochkultur
    Was vom Begriff übrig bleibt und eine Weiterverwendung rechtfertigt, sind die Symmetrien in den Mitteln der alten Guerilla
     und der Guerilla neuer Ordnung, die eine Konsum-, oder synonym, eine Kulturguerilla ist. Beiden gemein sind die Prinzipien
     der Verfremdung und der Überidentifizierung. Die Verfremdung verfolgt die subtile Wandlung eines wie auch immer gearteten
     Produkts nach eigenen Maßstäben, kommt im Rahmen unserer Konsumguerilla demnach dem
Buh
gleich. Die Überidentifizierung suggeriert zumindest eine Bejahung, vor deren Hintergrund man sich das Produkt zu eigen macht,
     in unserem Rahmen der Applaus, das
Bravo
. Wenden wir die von Aly benannte Regie beispielsweise auf Bayreuth an, dann folgt sie einem standardisierten Ablauf. Spätestens,
     wenn die Inszenierung
auf
der Bühne endet, inszeniert sich das Publikum
davor
in seiner Reaktion. Ist auch die Zeit der Claqueure vorbei, die gegen Bezahlung durch Lobbyisten das Auditorium in seiner
     Begeisterung oder Empörung nach Belieben manipulierten |278| , manipuliert ein Gros des Publikums heute zum Selbstzweck. 9 Es ist seine eigene Lobby – und auch darin den alten Guerillas verwandt. Das Bayreuther Bravo und das Buh sind arrangiert,
     nicht nur jedes für sich, sondern gerade im Gegeneinander, im Kräftemessen, im Wechselspiel. Denn nichts anderes ist es, als
     ein Spiel für und wider das (Bühnen-)Spiel, eine inszenierte Improvisation, eine Lob-und-Tadel-Rochade, Apotheose und Exekution. 10 Ihr Ziel ist nicht die Irritation, ihr Ziel ist die Schaffung klarer Verhältnisse. Für beide Parteien gilt, dass sich ihre
     Vertreter nicht als Anhängsel der künstlerischen Darbietung begreifen, sondern durchaus als
Prosumer
, als Kulturkundschaft, die Mitproduzent sein will, der mit seinen Mitteln Einfluss auf das Produkt und seine öffentliche
     Wahrnehmung nimmt. Es ist ihr Schritt aus dem dunklen Raum an die Öffentlichkeit, die Oberfläche. Ihr eigentliches Ziel ist
     der Konsens auf Basis der eigenen, als mehrheitsfähig angesehenen Anschauung. Mit dieser demonstrativen Autonomie geht nicht
     selten ein verhohlener Dogmatismus einher. Auch darin sind sich das auf Holzsitzen aneinander gereihte Bayreuthpublikum und
     – prototypisch – die an der Wand lang aufgereihten Mitglieder der »Kommune 1« ähnlicher, als man meinen mag.
    Im Strudel aller Klarheiten und Definitionen, die uns noch einen Bruchteil an Orientierung und Verständnis bewahren sollen,
     haben genau solch eindeutige Begrifflichkeiten längst die Seiten gewechselt. Diejenigen jedoch, die sich nun des alten Guerillabegriffs
     beraubt sehen, können unbesorgt sein, wenn auch um den Preis der Übersichtlichkeit. Denn diejenigen wiederum, die hier als
     Guerilla bezeichnet werden, begreifen sich umso weniger als eben solche, als sie ja gerade ihre erklärten, ausgebuhten und
     bisweilen körperlich angegangenen Gegner als
culture jammer
oder
adbuster
verstehen, die sich kulturelle Programme aneignen und Kultur an sich bewusst verfremden, verunglimpfen – und physisch attackieren.
    |279| Zwischenspiel: Chéreau und Schlingensief zwischen Bayreuth, Buh und Bravo
    Von körperlichen Übergriffen in Bayreuth berichten kann sowohl der Regisseur des
Parsifal
der Jahre 2004 bis 2007, Christoph Schlingensief, als auch Patrice Chéreau, der 1976 den
Ring des

Weitere Kostenlose Bücher