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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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am Rand des Aschenbechers zu, drehen, und das ärgerte mich.
»Entweder ist er nicht normal oder sehr gerissen! Aber dieses Mädchen hat hier nichts zu suchen. Sie hat gesagt, was sie weiß, und Schluß!«
So einfach war das: Entweder ist er nicht normal oder sehr gerissen! Wenn sich aber zufällig etwas Drittes herausstellte?
»Warum soll sie nicht herkommen? Das Mädchen leidet, sie will etwas erfahren… Und er erst! Du hast noch nicht miterlebt, was mit ihm vorgeht, wenn er mit ihr spricht!«
Stoitschkow sah mich spöttisch an. Hatte es Sinn, mit ihm zu streiten? Was er dachte, stand ihm auf dem Gesicht geschrieben – da war kein Raum zum Streiten. Er wußte alles, und es war unmöglich, seinem Wissen auch nur ein Körnchen hinzuzufügen.
Dieses Mal bedrückte mich seine Gegenwart. Und vielleicht nicht nur dieses Mal? Ich hatte keine Zeit, in Erinnerungen zu kramen – ich erwartete das Mädchen und wollte nicht, daß sie ihn bei mir sah. Oder ich hatte mich wahrscheinlich selbst schon gefragt, ob eine zweite Begegnung zwischen Andrej und Elena möglich war. Wenn Stoitschkows Gegenwart auch nicht immer eine reine Freude war, brachte sie mich mitunter auf Gedanken, die mich hinterher lange beschäftigten…
Während mir das alles durch den Kopf ging, hatte sich Elena gesetzt. Sie war zu beunruhigt, um darauf zu achten, ob ihr Rock auch die Schenkel ganz bedeckte. Dann sah sie mich an und fragte, wie sie gestern schon gefragt hatte: »Immer noch dasselbe?«
»Immer noch dasselbe…«
Aber sie fragte nicht, wie sie auch gestern nicht gefragt hatte: Kann ich ihn sehen?
Oder: Wann werde ich ihn sehen?
Die nichtgestellten Fragen berührten mich dienstlich nicht, und ich durfte nicht an sie denken. Oder im Gegenteil, ich dachte an sie, weil mir Stoitschkow noch im Kopf herumging.
»Ich begreife es einfach nicht«, sagte sie. »Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß sich jemand innerhalb eines einzigen Tages so verändern kann! Er ist derselbe… und ein ganz anderer Mensch!«
»Er ist völlig normal«, beruhigte ich sie. »Das hat eine Untersuchung ergeben. Obwohl er einem Menschen gleicht, der von einem anderen Planeten gefallen ist.«
Mir wurde unbehaglich zumute, obwohl Andrej es nicht hören konnte. Seine Antwort vom Kosmos war mir eingefallen, mit der er mir gleichsam die Absurdität einiger meiner Fragen vor Augen führen wollte. In Wahrheit waren sie bloß elementar, lagen unbestreitbar auf der Hand, und ich schämte mich meiner Ohnmacht.
»Aber wie kann das sein, innerhalb eines Tages!« rief Elena verwundert. »Seine Augen sind die gleichen, das Lächeln ebenfalls! Und beides zusammen – ein anderer Mensch! Was ist mit ihm geschehen?«
Dieses Mädchen hatte keine Vorstellung von den Möglichkeiten, die es gab. Zum zweitenmal innerhalb einer Minute beachte sie mich dazu, an meine Ohnmacht zu denken, menschlich wie dienstlich.
»Ich weiß es nicht!« gestand ich. »Und er will es mir nicht sagen.«
Dann scherzte ich ungeschickt: »Wahrscheinlich auch hier ein Doppelgänger!«
»Wenn jemand sein eigener Doppelgänger sein kann!« Sie überging meinen Scherz. »Aber nein, was reden Sie! Das ist Andrej, bloß, was ist mit ihm geschehen?«
Und mit mir, hätte sie, so schien mir, hinzufügen müssen.
Weshalb kam mir dieser Gedanke? Magerte Elena vor Sorge nicht ab? Ja, sie wurde immer dünner, doch sie schaute kein einziges Mal zur Tür, was Andrej in einem fort tat. Er wartete ununterbrochen voll Hoffnung auf sie. Oder trieb ich es mit meiner Beobachtungsgabe wieder zu weit? Nein, in Andrejs unmenschlicher Freude war etwas, das, wie ich glaubte, in keinem Verhältnis zu Elenas Besorgnis stand, wenn ich sie jetzt so ansah. Das in Andrejs Augen war außergewöhnlich und unwiederholbar. Elenas Besorgnis war ganz alltäglich – davon konnte man abmagern, sie konnte einen um den Schlaf bringen, aber weiter?
Wahrscheinlich war ich nicht ganz gerecht zu Elena, aber gerade dieses »weiter« hielt mich zurück. Ich hätte ihm erlauben können, sie zu sehen. Aber ich hatte Angst. Wir verstanden uns nicht, wenn ich mit diesem Menschen sprach. Manchmal haßte er mich. Auf meine Fragen antwortete er gleichmütig, naiv, oft dumm; er benahm sich unvernünftig. Der Respekt, den er mir durch sein Verhalten am ersten Tag abgenötigt hatte, war weg. Wodurch unterschied sich Andrej von den vielen, die durch dieses Zimmer gegangen waren? Er glich ihnen, aber nur bis Elenas Name fiel. Dann war Andrej wie verwandelt. In seinen

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