Kontaktversuche
nicht gut heraus. Arthur schweigt, dann wird er
wütend: »Was denn, spielst du eine Rolle? Schaut, was
für ein Held ich bin! So nicht! Das ist unvernünftig!«
Ach, Arthur, warum suchst du überall nach Vernunft? Mir muß
etwas einfallen, muß! Es bleibt keine Zeit mehr. Einer muß
zurückbleiben… Und ich sage, das erste, was mir in den Sinn
kommt: »Ich schlage vor… zu losen!«
Es ist unglaublich. So haben einst Menschen entschieden, die der Natur
machtlos gegenüberstanden, und das paßt so gar nicht zu uns,
den Herren des Alls. Noch bin ich mir nicht im klaren, was ich weiter
tun werde, aber zurück kann ich nicht.
Arthur lacht nervös. »Was für ein Einfall!«
»Begreif doch!« sage ich eindringlich. »Einer wird
ohnehin hierbleiben. Der blinde Zufall verlangt es. Antworten wir ihm
in gebührender Weise – mit einem anderen Zufall!«
Er mustert mich aufmerksam mit seinen braunen, glänzenden Augen.
Offensichtlich beginnt die Idee ihm zu gefallen. Und doch kann er als
Rationalist sie nicht akzeptieren.
»Du treibst die Dinge auf die Spitze«, sagt er
zögernd, und ein schiefes Lächeln huscht über sein
schmales Gesicht.
»Er hat recht, Arthur!« höre ich Ina sagen. »Ich bin bereit.«
Sie steht auf und tritt neben uns. Ihre Augen glühen, sie reibt
sich die Stirn. Wir schweigen. Eine seltsame, ein wenig traurige Musik
dringt aus dem Astrophon. Sie erfüllt die Kabine, wir scheinen in
ihr zu schwimmen.
Ich deute Arthurs Schweigen als Einverständnis, hole mein
Notizbuch hervor, reiße drei Seiten heraus und wende mich ab, um
eine von ihnen mit einem Kreuz zu versehen. Ich falte die Seiten
mehrfach, mische sie. Dann drehe ich mich wieder um und strecke die
Hand aus, in der ich die drei Lose halte – drei Schicksale.
»Auf einem der Blätter ist ein Kreuz. Zieht! Ich nehme wie üblich das letzte.«
Arthur zögert nicht. Beschlossen heißt für ihn
beschlossen. Er greift zu und nimmt sein Los. Er öffnet es und
legt es auf den Tisch. Die Seite ist leer. Ich weiß nicht, was er
in diesem Augenblick fühlt. Mit weitgeöffneten Pupillen und
automatengleichen Bewegungen zieht Ina ihr Los und öffnet es. Die
Seite ist leer.
Ich öffne mein Los gar nicht erst. Wir alle wissen ohnehin, was darauf ist. Ich knülle es zusammen und werfe es fort.
»Ihr seht selbst…«, sage ich. Etwas Besseres fällt mir nicht ein.
Arthur blickt zur Seite. Zum ersten Mal sehe ich ihn unentschlossen. Er
kann sich noch immer nicht damit abfinden, daß alles auf diese
für ihn unvernünftige Weise entschieden worden ist.
Gewiß macht er sich Vorwürfe, daß er einverstanden
war. Quäle dich nicht, Arthur! Das Schicksal weiß, wen es zu
wählen hat. Geht…
»Geht«, wiederhole ich meinen Gedanken. »Ihr habt keine Zeit mehr.«
Und plötzlich wird mir klar, daß ich Unsinn rede. Wer hat
keine Zeit mehr? Vor ihnen liegt eine ganze Ewigkeit Leben und
Glück. Ich, ich habe keine Zeit mehr! Aber sie haben nichts
bemerkt. Ina preßt die Lippen zusammen und tritt langsam zum
Astrophon. Sie setzt sich ans Pult, dann läßt sie die Hand
sinken und wendet sich um.
»Wir wollen gehen… alle zusammen«, sagt sie unsicher.
Ich antworte nicht. Was bietest du mir an, Ina? Das Leben? Aber
begreifst du, was für ein Leben? Nicht nur ich, alle drei
würden wir aufhören, Menschen zu sein.
»Nun ja«, sage ich. »Kommt her.«
Arthur schaut mich an. Was für Augen er hat! Sie haben sich
verändert, etwas Greisenhaftes liegt darin, etwas Altes und
Finsteres. Aber wir… ich habe keine Zeit.
»Leb wohl, Ina. Leb wohl, Arthur.«
Alles ist gesagt. Ich weiß nicht, wie man sich in solchen
Fällen verabschiedet. Ich reiche ihnen die Hände. Ich bin
unglücklich. Nein, ich denke nicht an das, was mich erwartet, ich
bin einfach unglücklich, daß ich die beiden nie wiedersehen
werde.
Arthur dreht sich um und geht als erster. Ich soll den Schmerz in
seinem Gesicht nicht sehen. Ina beißt sich auf die Lippe und
folgt ihm langsam. Ina! Du weißt es selbst nicht, Ina! Du liebst
ihn. Er ist ein wunderbarer Mensch, ein Freund, treu bis in den Tod.
Aber die Zeit wird vergehen, und du wirst immer öfter an den
anderen denken, der hiergeblieben ist und den es dann schon lange nicht
mehr geben wird. Und du wirst beginnen, ihn zu lieben, den anderen, den
Schatten. Du weißt es selbst noch nicht, was für eine
Hölle das sein wird. Arthur wird alles verstehen, und auch er wird
leiden. Ihr macht es mir schwer, meine Lieben.
Sie sind fort.
Wie still es ist! Wir sind allein,
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