Kontaktversuche
benetzte ihren Zeichentisch mit Tränen. Ich wurde aus ihrem Geschluchze nicht schlau, aber Dortschew zwinkerte mir zu: Sie hätte sich mit Petrow gestritten. Mehr Erklärungen konnte er mir nicht zuflüstern, weil das Telefon klingelte und ich verlangt wurde.
»Hör mal, Freundchen«, quäkte mir eine unbekannte Stimme ins Ohr. »Warum sitzt du nicht an deinem Schreibtisch? Gibt es für dich keine Arbeitszeit?« Offenbar machte sich da jemand einen der üblichen banalen kollegialen Späße, aber ich erkannte ihn erst, als er seinen Namen nannte.
»Wer? Wer?« Ich wollte es nicht glauben. Nein, das schien er wirklich nicht zu sein, oder aber ich hatte seine Stimme aus dem einfachen Grund vergessen, weil eine Menge Zeit vergangen war, seit ich ihn so hatte reden hören. Aber er fuhr mit einer für mich neuen Stimme fort: »Diesen Arbeitstag kannst du sowieso in den Schornstein schreiben. Komm doch auf einen Sprung zu mir, so daß wir’s an Ort und Stelle regeln können. Hast du dir’s gemerkt? Zimmer dreiundzwanzig, im zweiten Stock…«
An der Tür zu dem Zimmer hing eine große Glastafel mit der Aufschrift »Abteilungsleiter«. Ich muß unter dieser respekteinflößenden Tafel recht schüchtern angeklopft haben, denn niemand gab Antwort. Da stand ich und versuchte dahinterzukommen, welcher Leiter von welcher Abteilung dieses Ministeriums das sein konnte, dem unser Institut unterstellt war, bis mir irgendein guter Mann zurief: »Sie müssen stärker klopfen, sie ist gepolstert.«
Aufgeschreckt und beschämt, drückte ich einfach die Klinke nieder.
Unser Direktor saß, mit herausgedrückter Brust, die Schuhspitzen nach oben gedreht, in dem breiten Ledersessel vor mir, rot wie nach der Sauna. Auf dem Tischchen vor ihm waren freigebig Tassen mit Kaffee aufgebaut, eine Schachtel Pralinen, irgendwelche Nußkerne in Porzellanschälchen, trübgelbe Sonnenkügelchen, die in Kognakgläsern funkelten.
»Wir feiern«, ließ sich neben mir jemand zurückhaltend, voll Würde vernehmen, ohne Entschuldigung in der Stimme. »Ich hab’ das Telefon kaputtgedreht, um dich zu suchen. Setz dich, Bruder!«
Sicherlich habe ich einen recht jämmerlichen Anblick geboten: halb an die weiche Polsterung der Tür gelehnt, zerknauscht in meinem abgetragenen Anzug, vor den Kopf geschlagen, weil im Zimmer kein Dritter war, von dem diese Worte hätten kommen können. Und mein »Bruder« strich sich über sein Haar, als wolle er es mir zeigen, denn es war offensichtlich geglättet worden. Lang und glatt, glänzte es kupferkastanienfarben in der Sonne, bloß über den Ohren und im Nacken ringelte es sich in leichter Nachlässigkeit. Auch den modischen Schnitt seines Anzugs bemerkte ich, weil ich mich immer noch nicht getraute, ihm ins Gesicht zu schauen. Er befreite mich aus der Verlegenheit, indem er mich am Arm zu dem freigebig gedeckten Tischchen führte.
»Wir feiern die Versetzung!« Der Direktor grinste, und das Lachen brach in Flecken auf seinen Backen aus. »So lautete ja wohl der Beschluß des Gewerkschaftskomitees: daß er versetzt werden sollte.«
»Was meinst du?« fragte mich Peter Petrow so seltsam, daß ich nicht wußte, wonach er mich fragte. Deshalb sagte ich auch nichts.
»Dir hat’s wohl die Sprache verschlagen, was?« sagte der Direktor. »Ich muß dir gestehn, daß es mir heute morgen genauso ging, als ich seine Frisur sah. So ist das, wenn man in eine fliegende Untertasse gerät, Brüderchen!« Auch er proklamierte mich zu seinem Verwandten. »Haare wie ein Filmschauspieler, Abteilungsleiter im Ministerium…«
Etwas in mir wollte sich zu Wort melden: Während du dir also die Schuhsohlen abgelaufen hast, hat er … Aber weder meine Entrüstung noch meine Selbstsicherheit waren groß genug.
»Du freust dich wohl gar nicht, daß ich mich doch noch aus diesem Wirrwarr herausgefitzt habe?« sagte Petrow wiederum mit jener neuen Würde, die jetzt mehr wie Gleichgültigkeit wirkte, ob ich mich nun freute oder nicht.
»Ach wo, wieso…« Endlich brachte ich auch etwas hervor. »Also dann, meinen Glückwunsch!«
»Hör zu, wir wollen zuerst den sachlichen Teil erledigen. Ich hab’ gerade mit deinem Chef geredet.« So drückte er sich aus, als wäre er nie auch sein Chef gewesen. »So einen Chef wirst du so bald nicht wieder finden, weißt du. Also, was ich sagen wollte, ich werde hier in zwei, drei Monaten mit seiner Hilfe den Stellvertreterposten frei machen. Ich bin vollauf berechtigt, mir meinen Stellvertreter selbst auszusuchen,
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