Kontaktversuche
abermals den Kopf.
»Gerade darüber können wir leider nicht reden.«
»Aber wieso?« fragte ich nervös.
»Das kann ich Ihnen sagen… Sie müssen selbst zu Ihren Kenntnissen gelangen… Und den Weg aus eigener Kraft zurücklegen. Weshalb können Sie sich nicht vorstellen, daß gerade dies der Sinn der menschlichen Existenz auf der Erde ist?«
Seine Stimme war leise, aber tief, sie hatte einen besonderen Klang, und mir ging zum erstenmal der Gedanke durch den Kopf, daß sie nicht genau wie eine menschliche Stimme war.
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, erwiderte ich. »Was Sie sagen, kann ich mir vorstellen. Aber das Wesen Ihrer Moral kann ich nicht begreifen. Schließlich und endlich leben Sie unter uns, sehen unsere Leiden, die Ungerechtigkeiten, die Gewalt, sehen, wie wir uns bisweilen unglücklich und hilflos im Zauberkreis unserer Unwissenheit drehen. Und gleichzeitig erkennen Sie wahrscheinlich ganz klar, daß es so leicht wäre, alldem zu helfen, was gut und gerecht ist. Aber Sie tun es nicht. Verunstaltet das nicht den Sinn Ihrer eigenen Existenz?«
Er sah mich irgendwie seltsam an.
»Dann stellen Sie sich einmal vor, daß das Wesen unserer Moral viel mehr Verstand und weniger Gefühle enthält.«
»Mir das vorzustellen fällt mir schwer«, sagte ich. »Wenn Ihre Zivilisation vollkommener ist als unsere, muß auch Ihr moralisches Empfinden vollkommener sein. Wahrscheinlich rufen bei Ihnen manche Dinge moralische Empörung hervor, an die wir gewöhnt sind. Die Kriege zum Beispiel. Stellen Sie sich vor, daß unsere Menschheit morgen vor der Selbstvernichtung steht. Würden Sie uns da etwa auch nicht in den Arm fallen?«
»Nein, selbstverständlich nicht!« sagte er fest. »Sie müssen die Krise allein durchstehen. Wenn wir Sie künstlich hindern, erlangen Sie keine Immunität und gehen das nächste Mal an einer noch schrecklicheren Katastrophe zugrunde.«
Ich wiegte bekümmert den Kopf.
»Ja, das ist logisch… Und dennoch kann ich mich damit nicht einverstanden erklären. Warum helfen Sie uns dann nicht wenigstens bei den Leiden, für die wir nichts können? – Erlösen Sie uns wenigstens vom Krebs… oder von der Tuberkulose…«
»Ich habe es Ihnen doch schon gesagt«, antwortete er mit leichtgerunzelter Stirn. »Klügere Leute als ich haben erkannt, was Ihnen not tut… Und ich bin nicht berechtigt, das abzuändern…«
Plötzlich schoß mir ein rettender Gedanke durch den Kopf.
»Dann helfen Sie wenigstens meinem Freund… Sie werden zugeben, daß ein einziger Fall von Einmischung nicht imstande ist, den historischen Weg der menschlichen Entwicklung zu verändern.«
Er lehnte sich wortlos zurück. Und ich hatte den Eindruck, daß er in diesem Moment schwankte.
»Nein, ich bin nicht berechtigt, das zu tun«, sagte er finster.
»Und weshalb haben Sie mir geholfen? – Weshalb haben Sie mich vor dem Tod gerettet?«
»Weil ich mir in diesem Augenblick eingebildet habe, daß ich daran schuld wäre… Und natürlich habe ich auch nicht das Recht, schuld zu sein.«
Plötzlich befiel mich ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, ich verstummte. Wir schwiegen alle beide. Draußen war es schon dunkel geworden, doch im Zimmer blieb es hell, hier herrschte noch ein natürliches, klares Tageslicht. So merkwürdig das auch war, fiel mir das damals überhaupt nicht weiter auf.
»Und dennoch mischen Sie sich in die irdischen Angelegenheiten«, sagte ich. »Ich werde alles aufschreiben, was mir heute passiert ist.«
»Das ist überhaupt kein Problem«, meinte er mit einem Lächeln. »Innerhalb eines Augenblicks könnte ich alles aus Ihrem Gedächtnis löschen, woran Sie sich nicht erinnern sollen.«
»Wollen Sie das wirklich machen?« fragte ich erschrocken.
»Natürlich nicht… Schreiben Sie, was Sie wollen… Es wird Ihnen ohnedies niemand glauben…«
»Vielleicht wird man mir das Vorkommnis nicht glauben… Aber man wird die Wahrheiten glauben, die darin enthalten sind.«
»Diese Wahrheiten sind den Menschen längst bekannt«, erwiderte er. »Ich habe Ihnen kein neues Amerika entdeckt.«
Das waren die letzten Worte von ihm, an die ich mich erinnerte. Ich erwachte bei Tagesanbruch. Ich war auf dem Sessel eingeschlafen, wo ich am Abend gesessen hatte. Vielmehr war ich da eingeschläfert worden. Der Fremde hatte mich in eine leichte Decke gehüllt und war verschwunden. Aber ich erinnerte mich an alles, an mein Gedächtnis hatte er nicht gerührt. Ich stand auf und öffnete das Fenster. Die Sonne war noch nicht über die
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