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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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sicherlich, ohne mir dessen voll bewußt zu sein, nicht ganz da!
    Während Elena so an Andrej dachte, hob sie den Kopf – und sah ihn plötzlich vor sich. Er kam auf sie zu, und es war nicht ersichtlich, von wo er aufgetaucht war. Die Straße vor ihr war lang und gerade, eben erst hatte Elena festgestellt, daß sie menschenleer war, und in der Nähe mündete keine Querstraße ein. Da nahm sie an, sie sei wahrscheinlich so tief in Gedanken gewesen, daß die Welt, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, gleichsam vor ihren Augen neu erschaffen wurde. Doch wie dem auch war, selbst wenn die Welt neu erschaffen wurde – jetzt war sie völlig anders: Nichts erinnerte mehr an den Regen und den Sturm, die dünn gewordenen Wölken lösten sich irgendwo hinter den Dächern auf, und über der Straße schien die Sonne.
    Elena blieb stehen, als könnte sie nicht glauben, daß Andrej auf sie zukam, dann fing sie voll Freude an zu laufen.
»Du Böser!« rief sie zärtlich-streng. »Wo bist du geblieben? Hast du vergessen, daß es auf der Welt Telefone gibt?«
»Entschuldige – ich hab’s vergessen.«
»Was?«
»Daß es Telefone gibt.«
Sie hakte sich bei ihm unter und drängte sich an ihn. Zum Teufel mit allem! Daß er gestern nicht gekommen ist, na wennschon! Jetzt ist er ja da. Den ganzen Tag lass’ ich ihn jetzt nicht mehr weg, muß nur Mutter anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht, obwohl sie sich trotzdem Sorgen machen wird…Und richtig angezogen bin ich auch nicht. Ich bin nach Mutters Geschmack angezogen: Den Rock da, anderthalb Spannen überm Knie, den schmeiß weg! Du bist Lehrerin! – Erstens sind’s nicht anderthalb Spannen, und zweitens geh’ ich ja so nicht in die Schule! – Du verdirbst dir den Charakter! Gewöhnst dich an ein Doppelleben! – Ein Rock und Charakter! Ach, Mutter, Mutter… An was für Unsinn ich denke! Er ist bei mir, und ich merke, daß vierundzwanzig Stunden meines Lebens verloren sind…
»Nur gut, daß es nicht zu regnen angefangen hat!« sagt sie mit einem erfreuten Seufzer. »Wenn es geregnet hätte, hätten wir uns sicherlich auch heute nicht gesehn.«
»Ich hab’ den Regen angehalten«, sagte er wichtig. »Wenn ich nicht wäre, würde es jetzt regnen. Und hageln auch! Aber ich habe es abgewendet…«
»Wie kommt’s nur, daß ich diese Straße langgegangen bin?« plapperte sie erstaunt, ohne ihm zuzuhören. »Über einen Monat bin ich nicht hier gewesen.«
Sie schloß die Augen und legte ihr Gesicht an seinen Ärmel. Das Kleidungsstück strömte einen bekannten Geruch aus. Ich bin wie ein Hund, dachte Elena. Wenn man mir die Augen verbindet, finde ich ihn trotzdem. Unter Tausenden finde ich ihn heraus! Aber jetzt erkenne ich, daß ich einen zweiten Tag wie den gestrigen nicht überleben könnte… Nicht, Veil ich in der Konditorei gewartet habe und diese Serviererin mich angeschaut hat, als wäre ich ein Ausstellungsstück ohne Aufschrift – ich hatte Angst, daß der Tag nie zu Ende gehen würde…
»Ich freu’ mich so, daß du bei mir bist! Gestern habe ich so auf dich gewartet, aber ich bin dir nicht böse.«
Er gab keine Antwort. Sicherlich hatte er nicht begriffen, daß man auf diese Weise Fragen stellen kann, aber er drückte ihren Arm mit dem Ellenbogen an seinen Körper. Sie mochte diesen Ausdruck seiner Zärtlichkeit und verzieh ihm augenblicklich seine Begriffsstutzigkeit.
An der Ecke ging Elena in die Telefonzelle und rief ihre Mutter an. Während sie mit ihr sprach, sah sie Andrej an und lächelte ihm zu. Dann kam sie heraus, nahm seine Hand und sagte: »Heute habe ich weiter keine Verpflichtungen.«
Und dachte dabei, daß er eben doch nicht imstande war zu begreifen, wie besorgt sie gestern gewesen war. Ich habe mich nie nach dem Sinn von alldem gefragt, dachte sie, was wir beide machen. Sowie ich ihn sehe, begreife ich, daß der Sinn in seinem bloßen Dasein ist. Und sicherlich wird sich daran nichts ändern, doch in den letzten vierundzwanzig Stunden hat es mich beirrt, daß ich außer seinem Namen fast nichts von ihm weiß… Es ist keine Zeit dafür geblieben… Was ich da denke, ist so dumm, daß er mir’s sicherlich übelnehmen würde, wenn er meine Gedanken lesen könnte! Tagtäglich sehen wir uns, manchmal gehen wir tanzen, wir küssen uns, und vorgestern sind wir ganz allein im Zimmer gewesen… Ich erfahre alles über ihn, wenn ich seine Hand drücke, wenn seine Augen sich den meinen nähern und er mich küßt.
Dennoch konnte sie sich nicht zurückhalten

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