Kontinuum des Todes
aber Varl zögerte noch etwas damit. Vielleicht, so dachte er, während er vor seinen Kontrollen in der Zentrale saß, sahen sie den Normalraum zum letzten Mal; der Tod konnte jeden Augenblick, auch schon beim ersten Sprung, zuschlagen. Kein Commander würde darauf verzichten, allerletzte Tests und Checks zu machen, wenn eine solche Gefahr bestand.
»Kurs noch einmal prüfen, Asner?«
»Alles optimal, Commander. Projektor auf Minimum. Keine Störungen.«
Das hatte er erwartet, aber Varl fragte sich, wie sich der Ingenieur wohl fühlte, wie er jetzt von unsichtbaren Geistern umgeben war. Noch einmal ging sein Blick über die Anzeigen und Skalen, ging zu dem Stern, den sie als ihr Ziel angepeilt hatten: Rigel im Sternbild des Orion. Die Entfernung betrug fünfhundert Lichtjahre.
Plötzlich verlor er die Geduld.
»Achtung«, sagte er laut. »Start in fünf Sekunden. Vier, drei, zwei, eins, Start!«
Diesmal spürte er noch mehr als bei seinen bisherigen Sprüngen in den Überraum die Phase des Übergangs. In ihm machte sich eine Spannung breit, die bis zu dem seltsamen Gefühl anstieg, in immer riesigere Dimensionen zu zerfließen, gestreckt und gebogen zu werden. Das Schwindelgefühl war kurz danach vorbei, und dann starrte er auf den Bildschirm und sah nur noch ein formloses, graues Wabern. Ein gigantischer, amorpher Nebel hüllte sie ein, in dem sich immer wieder grauweiße Muster zu bilden schienen, die aber stets zerflossen, bevor sie vertraute oder bekannte Konturen annehmen konnten.
Dies war der Bereich des Nicht-Raumes, durch den das Schiff sich dank des Hypans fortbewegte.
Kreutzals Universum.
Varl starrte hinaus, dachte dabei an die Erklärungen der Psychologen, die ihm durch die Hypnoschulung erst vor kurzem wieder eingeimpft worden waren. Die Farbe dieses Universums war grau, weil es eigentlich eine Nicht-Farbe war, und das Wabern hing damit zusammen, daß das menschliche Gehirn ständig versuchte, das Formlose, Unbegreifliche dort draußen in etwas Bekanntes zu verwandeln, ihm vertraute Formen zu geben.
Lauerten in diesem Nebel unbekannte Monstren?
War das Schiff bereits von einem gigantischen Maul verschlungen worden, jagte es bereits einen Schlund hinab, nur um kurz darauf von Säuren zerfressen und von einem Alptraumwesen verdaut zu werden?
Oder raste man auf das Zentrum einer Sonne zu, um dort in Atome aufgelöst und zwischen die Sterne verstreut zu werden?
»Commander!« Der Navigator meldete sich, und Varl wandte sich um. »Flug stabil, alle Systeme normal.«
Bisher verlief also alles wie geplant; nach und nach trafen weitere Meldungen ein, und plötzlich wurde sich Varl bewußt, daß er nur für wenige Sekunden seinen Gedanken nachgehangen hatte. Automatisch überprüfte er seine Anzeigen, dann lehnte er sich zurück und starrte wieder auf die Bildschirme.
Der graue Nebel hatte eine hypnotische Faszination, die eine gewisse Gefahr darstellte – man hatte Piloten hilflos zusammengekrümmt in ihren Sesseln vorgefunden, die nach allen dafür bekannten Kriterien tot waren. In ihren Augen hatte der absolute Wahnsinn gestanden.
In dem Wirbeln dort draußen erschien ein Gesicht und schaute auf ihn herab.
Ein Gesicht, das er bereits einmal gesehen hatte.
»Kreutzal!«
Es war verschwunden, bevor es sich noch ganz gebildet hatte, und es blieb nur der amorphe Nebel zurück, der auf seinen lauten Ruf nicht reagierte. Hatte er überhaupt gerufen? Varl schaute sich um – niemand wandte sich zu ihm, und der Schrei, genau wie das Gesicht, waren nur in seinem Hirn gewesen.
Lydon hatte gesagt, daß nichts wirklich stirbt – was war mit jenen geschehen, die im Überraum verschwunden waren?
Lydon! Varl erinnerte sich wieder an den Projektor.
»Zentrale an Maschinenraum – ist der Projektor auf volle Kraft geschaltet?«
»Moment«, meldete sich Asner. »Jawohl«, antwortete er dann.
Plötzlich spürte auch Varl, daß das Schiff sich mit beinahe unsichtbaren Wesen füllte, hörte, wie eine Frau in einer anderen Abteilung aufschrie. Die Emissionen aus Lydons Maschine mußten bestimmte Regionen des Gehirns anregen, so daß man plötzlich Geister sah. Geister aber waren etwas, wovor man sich nicht zu fürchten brauchte, sie waren nicht real.
Etwas ruhiger geworden, spürte Varl, wie die Odile zum Leben erwachte. Das Schiff war bereit, es mit jedem aufzunehmen, der es angreifen wollte. Der Köder war ausgelegt – jetzt brauchten die Mörder nur noch zuzuschlagen.
14.
Als er noch jung
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