Kontinuum des Todes
gewesen war, hatte ein Freund Stacey erzählt, wie man viel Geld verdienen konnte: Schreib ein Buch, hatte er gesagt, in dem minuziös jede Einzelheit einer Operation dargestellt wird, wie sie in den frühen Tagen der Medizin vorgenommen worden waren. Chirurgische Techniken, die wegen ihrer blutigen Brutalität die Sadisten faszinieren würden. Stacey hatte das Buch nicht geschrieben, jemand anderes hatte sich das Geld verdient, aber welche Chance würde ein solches Buch gegen die Hologramme aus der Lewanna haben?
Die Aufnahmen waren von einem Experten gemacht worden und überließen nichts der Phantasie. Das Wesen, das dort herumkroch, benutzte verzweifelt seine Beine, obwohl die schon längst nicht mehr an ihrer normalen Position waren. Das gespenstische Wesen, das dort herumwankte, ähnelte äußerlich immer noch einem Menschen – das Herz war zu sehen, die Nieren … War das andere dort eine Hand?
Irgend etwas an der blutüberströmten Gestalt bewegte sich, schien Stacey zuzuwinken …
Ein Schluck Weinbrand lenkte für Sekunden etwas ab.
Stacey holte tief Luft, starrte in das leere Glas und sah selbst darin noch Schreckensbilder; das Band mit den Aufzeichnungen aus der Lewanna wiederholte sich mit krankmachender Regelmäßigkeit, dreidimensionale Bilder erfüllten die Arztpraxis des Schiffes …
Er schrie auf, als etwas seinen Arm berührte.
»Ruhig!« Es war Erica, die plötzlich neben ihm stand. »Ich bin es nur.«
»Ich dachte schon …« Stacey schluckte und griff nach der Flasche, um sein leeres Glas zu füllen. »Mein Gott, hast du mir einen Schrecken eingejagt. Ich glaubte, ich wäre allein.«
»Schließ das nächste Mal deine Tür.« Sie schaute auf das Glas, die Flasche am Boden neben dem Sessel. »Wenn Kurt dich beim Trinken erwischt, bringt er dich um.«
»Er kann es versuchen.«
»Du meinst, das könnte er nicht?«
»Glaubst du, es interessiert mich?« Stacey deutete mit dem Glas auf die Bilder im Raum. »Könnte etwas schlimmer sein als das dort? Sieh es dir an – das lebt sogar noch, ist noch bei Bewußtsein. Wie, glaubst du, muß es sich fühlen?«
»Es?«
»Soll ich ihm noch ein Geschlecht verleihen? Es ist eine Frau, wenn du es genau wissen willst. Das Gelbe dort ist …«
»Bitte keine Einzelheiten!« Erica nahm ihm das Glas aus der Hand, trank es leer und gab es ihm zurück. »Was, um Himmels willen, ist mit ihr passiert?«
»Wenn ich vermuten soll, so würde ich sagen, sie ist von innen nach außen gekehrt worden.«
»Aber …«
»Das gibt es nicht, sehr richtig. Man kann einen Menschen nicht so umdrehen wie einen Handschuh.«
Er griff wieder nach der Flasche und füllte sich das Glas auf. Erica sah schweigend zu, wie er es austrank, und als sie sicher war, daß er ihr zuhörte, sagte sie:
»Ich habe für dich gelogen, Hans. Ich habe gesagt, daß du sauber bist, keine emotionalen Probleme, keine Phobien oder Störungen hast. Jetzt stelle ich fest, daß du ein Trinker bist.«
»Deshalb?« Stacey hob das Glas. »Wann hast du das letzte Mal Ka’sence genommen?«
»Das ist etwas anderes.«
»Natürlich – die eigene Schwäche ist es immer. Aber ich bin kein Trinker. Meine Schwierigkeit ist nur, daß ich eine zu große Vorstellungskraft habe.« Er stellte das Glas ab, hob eine Hand. »Hör nur – hörst du sie? Die Wesen um uns herum, die da sind und die wir doch nicht sehen? Wir wissen, sie sind da, aber wir sehen sie nicht. Wenn wir uns schnell genug umdrehen, erhaschen wir vielleicht einen Blick. Deshalb hast du mich auch so erschreckt. Ich glaubte, einer der Geister habe mich berührt. Eines Tages werden sie das wohl noch tun.«
Eines Tages würde wohl auch sie ihre Berührung spüren. Das Schiff wimmelte von Schemen, und einige wurden immer deutlicher, schälten sich unter den anderen heraus. Einen jungen Mann, den sie gekannt hatte und der bei einem Unfall gestorben war – er hatte ihr erst gestern zugelächelt. Er war nur undeutlich zu sehen gewesen, aber sie hatte ihn erkannt. Morgen schon konnte er plötzlich zwischen den Seiten eines Berichts erscheinen, den sie gerade las, konnte sich in einer polierten Oberfläche zeigen …
»Ich behandle die Wunden der Leute, schreibe Rezepte für einen kranken Magen oder gegen Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit aus«, sagte Stacey. »Damit kann ich umgehen, das kann ich heilen. Ich komme auch mit Knochenbrüchen klar, seien sie auch noch so schlimm – es dauert nur etwas länger. Und es gibt Fälle, bei denen ich nur
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