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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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den Achseln, und den Kommandanten packte die Wut. Einen nach dem anderen drehte er in Richtung der gegnerischen Stellung und bläute ihnen ein: Geht dorthin. Dort werdet ihr es besser haben. Er riet ihnen, die Hände zu heben, und gab dem Soldaten mit dem Abzeichen am Ärmel einen leichten Schubs. In der inzwischen entstandenen Stille hörte man nur ihre aufgeregten Stimmen, aber bald nicht einmal mehr die. Wer auch immer sich im Gestrüpp gegenüber versteckte, er ließ sie bis auf etwa dreißig Meter herankommen, dann eröffnete er ein so gewaltiges Feuer, als rückte eine ganze Panzereinheit an. Der Kommandant sah gerade in dem Moment hin, als der Soldat mit dem Abzeichen sich, wohl wegen des Kugelhagels, zum Kontrollpunkt zurückwandte. Einen unendlich winzigen Augenblick lang traf sein Blick auf den des Kommandanten, aber die kurze Zeit genügte, um Bitterkeit und Schmerz sowie den Vorwurf auszudrücken, er habe ihn verraten. Wie konnte ich dich verraten, sagte der Kommandant laut, wenn du gar nicht mein Soldat bist? Er erschauderte, weil er wusste, dass jener eigentlich recht hatte. Jemand ergibt sich, weil er Gnade erwartet, aber stattdessen wird er ohne die geringsten Gewissensbisse in den Tod geschickt. Dieser Satz klingt nicht gut, dachte der Kommandant, von welchem Ende her man ihn auch liest. Er dachte eigentlich an etwas ganz anderes, daran, dass er in ein Chaos geraten war, aus dem es kein Zurück mehr gab. Ein Krieg wird gespielt wie eine Partie Schach, bei der es gilt, bestimmte Regeln zu beachten. Sobald diese Regeln nicht eingehalten werden, ist der Krieg kein Spiel mehr, in dem die Gegner versuchen einander zu besiegen. Bis zum Ersten Weltkrieg, dachte der Kommandant, ähnelten die Kriege fast immer einem Schachspiel, die Herrscher und die Generäle begriffen sie auch so. Sie hockten auf umliegenden Hügeln und beobachteten ihre Armeen beim Vormarsch oder beim Rückzug. Krieg, der damals ein Ritual, ein Konversationsstück, ein gut einstudiertes Ballett oder eine Operette war, wurde jetzt zu einem Chaos, zu einer beliebigen Unberechenbarkeit, zum Töten um des Tötens willen. Der Kommandant wusste, dass all dies ihn in den Augen jenes Soldaten nicht reingewaschen hätte in jenem Augenblick, als sich ihre Blicke begegneten. Aber das heiße nicht, dachte der Kommandant, dass er kleinmütig oder lustlos geworden sei. Im Gegenteil, auf einmal wurde er forsch, ging von einem Mann zum anderen, ermutigte seine Leute, bot sich ihnen als Vater oder Mutter an, ging dann zu dem Kindersoldaten und legte ihm nahe, er solle sich umziehen, bevor er mit seinem Gestank die ganze Gegend verpeste. Jemand wird uns noch anzeigen, weil wir die Umwelt nicht schonen und sie aus dem ökologischen Gleichgewicht bringen. Der Kommandant wollte gerade nach dem Funker suchen, als ihm der Koch über den Weg lief. Alles paletti, meinte dieser, der Herd funktioniere, es gebe genug Brennstoff, er schicke sich gerade an, Pfannkuchen zu backen. Der Kommandant bat ihn, ihm zwei mit Marmelade beiseite zu legen, da erblickte er den Funker. Der saß auf einem leeren Fass und rauchte. Willst du etwa auch nach Hause, fragte er ihn, wie jene dort? Der Funker warf ihm einen trüben Blick zu und sagte: Mein Vater ist gestorben. Der Kommandant spürte, wie sich seine Schultern und sein Rücken unter der Last von Dummheit und Scham beugten. Er wollte dem Funker, vielleicht auch sich selbst, noch etwas sagen, aber es fiel ihm nur der Satz ein, den er irgendwo gelesen hatte, dass es vergeblich ist, in solchen Situationen irgendetwas zu sagen, denn trotz aller Worte bleibt der Tote tot. Man darf einen Menschen jedoch nicht ohne Hoffnung lassen, und deswegen sollte man trotzdem weiter reden. Der Kommandant stieß leise einen Fluch aus und fragte den Funker, wie er vom Tod seines Vaters erfahren habe. Sein Bruder habe es ihm gemeldet, sagte er. Bruder, wiederholte der Kommandant. Ja, sagte der Funker, Bruder. Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hast, sagte der Kommandant mit zittriger Stimme. Er ist eigentlich mein Cousin, antwortete der Funker. Der junge Offizier, der danebenstand, bemerkte, ein Soldat habe im Falle des Todes eines Familienangehörigen Anspruch auf vier bis sieben Tage Urlaub für die Beerdigung. Der Funker sagte, Urlaub nehmen würde er nur, wenn er in Zivil reisen dürfe, denn in Uniform würde er zu sehr auffallen. Der Kommandant wollte ihn gerade fragen, wer ihn während dieser Zeit als Funker ersetzen würde, als der junge

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