Kopernikus 1
spät …“, stammelte Olaf und wies auf den Griff des archaischen Bronzedolchs, der seinem Vater aus dem Rü ck en ragte. Jemand mußte ihm die Waffe durch das erstarrte Gel von hinten mitten ins Herz gestoßen haben.
„Aber das gibt es doch nicht … dann wurde Vater ja ermordet!“ Ulf schüttelte wiederholt den Kopf, als könne er damit seine Feststellung ungeschehen machen. Doch die Tatsachen hielten allen Zweifeln stand.
Abt Ratgar machte auf das kleine flache Kästchen aufmerksam, das auf der Altarplatte stand, aber bis jetzt von den Geschwistern übersehen worden war.
Olaf erkannte in ihm das elektronische Notizbuch se i nes Vaters. Es kostete ihn einige Überwindung, danach zu greifen und die Abspieltaste zu drücken.
Professor Nevarts Stimme klang so lebendig durch den Raum, daß Gunda einen Schreckenslaut ausstieß.
„Also habt ihr mich gefunden! Seid gesegnet, Olaf, Gunda, Ulf. Die alte Formel hat euch den neuen Weg gewiesen.“
„Vaters akustisches Testament“, flüsterte Ulf mit tro ckenem Mund.
„Visita Inferiora Terrae Rectificando Invenies Occu l tum Lapidem! V.I.T.R.I.O.L!“ erklärte die Stimmkonse r ve des Professors weiter. „Auch der Pflug sucht das U n tere der Erde auf. Vervollkommne es mit neuen chem i schen Cellvibrio-Stämmen und synthetischem Humu s bildner, damit auch aus bisher trostlosen Einöden fruch t bare Gärten erblühen. Ich bin euch eine Erklärung schu l dig. Diese Aufzeichnung versucht sie euch zu geben. Viel Zeit bleibt mir nicht. Oder doch?“ Eine kurze Hof f nungspause entstand, nach der die Stimme des Professors kühl und analytisch klang. „Infolge Materialfehlers kam es bei einem Endphasenexperiment zur Katastrophe. Ich hatte so etwas befürchtet und auf meine Art und Weise vorg e sorgt. Die hochprozentige Säureverdampfung von Schnel l verrottern und Humusextrakten führte zur Schwarz pigmentierung meines Gesichts sowie Lungenverätzu n gen. Nach Panikreaktion folgte genauer Analysierung s versuch auf Speicherband. Danach Intensivprogrammi e rung mit Silikonreplikator als Vernichtungsrobot.“
„Vernichtungsrobot?“ Über Gundas Oberlippe glän z ten Schweißperlen.
„Da wissenschaftlich uneffektiv, habe ich meinen Selbsttötungsvorsatz wieder verworfen“, sprach der Pr o fessor weiter. „Makabere Situation provoziert makaberen Scherz, siehe Toteneffegie! Mein zweiter ‚schwarzer Bruder ’ ist infolge Schaltfehlers zur Zeit im Huldremoor verschollen. Sein motorisches System funktioniert über einen Kristalldatenspeicher mit akustischer Codierung.“
Olaf drückte die Stopptaste. „Er meint den zweiten S i likonroboter, den er wie den Mann im Hundefleisch u m brabraun eingefärbt hatte.“
Ulf leuchtete mit seiner Handleuchte die dunklen E c ken der Krypta aus …
In einer Mauernische lehnte mit den verdrehten Gliedmaßen einer kraftlosen Schaufensterpuppe das Mördergespenst. Die vergröberten Silikongesichtszüge des Professors glichen einer erstarrten Maske. Die Kle i dung bestand aus ‚ einfachem Lederzeug ’ . Genauso hatte es die Moderatorin in ihrem ersten Bericht über den se n sationellen Fund im Huldremoor beschrieben; dieser Hominidenfund, der sich als etwas ganz anderes denn als Leichenentdeckung erwies.
Gunda schlug die Hände vor ihr Gesicht. Das künstl i che Zerrbild ihres Vaters jagte ihr Abscheu ein.
Olaf ließ das akustische Testament weiterlaufen.
„Ich faßte den Entschluß, im Selbstversuch in einem der neuen Bioblöcke zu überleben. Bei Fehlschlag erbitte ich Aufnahme ins Museum als Homo huldrensis!“
„Schalt es ab!“ schluchzte Gunda und wollte ihrem Bruder das Gerät aus der Hand winden. Der wehrte sie so sanft wie möglich ab.
„Professor Nevart hatte alles einkalkuliert“, ließ sich Abt Ratgar vernehmen. „Er wußte, daß wir Neo-Katharer ihn spätestens zur Sommersonnenwende, also morgen, finden würden. Er nahm den Kreuzschlüssel an sich und verschloß den Katakombenzugang von innen, damit wir durch den Notausstieg eindringen mußten, wie wir es getan haben. Das erhöht die Chance, diese Tragödie g e heimhalten zu können.“
„Aber der Bronzedolch in seinem Rücken!“ wandte Ulf ein.
„Wie sagte Vater?“ Olaf ließ die digitale Stimmspur im elektronischen Notizbuch zurücklaufen und fand die Stelle auf Anhieb.
„Intensivprogrammierung mit Silikonreplikator als Vernichtungsrobot“, wiederholte der Professor.
„Nehmen wir an, Vater hat vor der Bio-Gel-Aufschäumung versäumt, den
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