Kopernikus 1
Vertr e ter davon.“
„Eine solche Kirche kenne ich nicht“, sagte ich.
„Natürlich nicht, das glaube ich Ihnen gern. Sie ist g e heim. Sie muß geheim sein. Das ist Ihnen unbegreiflich, nicht wahr? Die Leute mögen es nicht, wenn man sie b e lügt …“
„Ich möchte auch nicht belogen werden“, unterbrach ich ihn.
Lukyan zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Wahrheit sagen würde, oder? Wenn ein Lügner das sagt, dann können Sie ihm glauben. Wie könnten wir einander sonst vertrauen?“
„Es gibt viele wie Sie“, sagte ich. Ich begann zu gla u ben, daß Lukyan doch verrückt war, genauso fanatisch wie alle Häretiker, wenn auch auf kompliziertere Weise. Es handelte sich hier offenbar um eine Häresie innerhalb der Häresie, aber mir war klar, welches meine Pflicht war, nämlich die Wahrheit herauszufinden und die Dinge zurechtzurücken.
„Wir sind viele“, sagte Lukyan lächelnd. „Es würde Sie überraschen, Pater Damien, wirklich, es würde Sie überraschen. Doch es gibt ein paar Dinge, die möchte ich Ihnen lieber nicht erzählen.“
„Dann erzählen Sie mir das, was Sie erzählen können.“
„Mit Vergnügen“, sagte Lukyan Judasson. „Für uns Lügner gibt es, wie für alle anderen Religionen, ein paar Wahrheiten, an die wir glauben. Glaube ist immer nötig. Es gibt Dinge, die man nicht beweisen kann. Wir gla u ben, daß das Leben wert ist, gelebt zu werden. Das ist ein Glaubenssatz. Der Sinn des Lebens besteht darin, zu l e ben, dem Tod zu widerstehen, vielleicht sogar der Entr o pie die Stirn zu bieten.“
„Weiter“, sagte ich und wurde entgegen meiner A b sicht immer interessierter.
„Wir glauben weiter, daß Glück ein Gut ist, nach dem man streben sollte.“
„Die Kirche hat nichts gegen das Glück“, warf ich tro cken ein.
„Da habe ich meine Zweifel“, meinte Lukyan. „Aber wir wollen uns nicht streiten. Welche Haltung die Kirche zum Glück auch haben mag, sie predigt den Glauben an ein Leben nach dem Tode, an ein höchstes Wesen und an einen komplizierten Moralkodex.“
„Stimmt.“
„Die Lügner glauben nicht an ein Leben nach dem Tode, und sie glauben an keinen Gott. Wir sehen das Universum, wie es wirklich ist, Pater Damien, und die nackte Wahrheit ist, es ist grausam. Wir, die wir an das Leben glauben und es hochschätzen, müssen sterben. Danach wird nichts sein außer ewiger Leere, Dunkelheit, Nicht-Existenz. Unser Leben hat keinen Sinn gehabt, keine Poesie, keine Bedeutung. Dasselbe gilt für unseren Tod. Wenn wir weg sind, dauert es nicht lange, und das Universum hat uns vergessen, schon nach kurzer Zeit wird es den Anschein haben, als hätten wir niemals g e lebt. Schließlich wird die Entropie alles verschlingen, und alle unsere schwächlichen Bemühungen können g e gen dieses schreckliche Ende nichts ausrichten. Es wird vorbei sein. Es wird nie gewesen sein. Es hat nie eine Rolle gespielt. Selbst das Universum ist dem Untergang geweiht, ist vergänglich, und das ist ihm völlig egal.“
Ich rutschte auf meinem Stuhl zurück, und ein Schauer lief mir über den Rücken, während ich den düsteren Wo r ten des armen Lukyan lauschte. Ich ertappte mich dabei, wie ich an meinem Kruzifix nestelte. „Eine trübe Phil o sophie“, sagte ich, „und falsch ist sie obendrein. Ich habe eine derart beängstigende Vision auch schon gehabt. Ich glaube, irgendwann hatten wir sie alle einmal. Aber so ist es nicht, Pater. Vor solchem Nihilismus bewahrt mich mein Glaube. Der Glaube ist ein Schutzschild gegen die Verzweiflung.“
„Oh, das weiß ich, mein Freund, mein Ritter der I n quisition“, sagte Lukyan. „Ich freue mich, daß wir uns so gut verstehen. Sie sind schon beinahe einer von uns.“
Ich runzelte die Stirn.
„Sie haben ins Schwarze getroffen“, fuhr er fort. „Die Wahrheiten, die großen Wahrheiten – und auch die me i sten weniger großen – sind für den überwiegenden Teil der Menschheit unerträglich. Wir finden unseren Schut z schild im Glauben. In Ihrem Glauben, in meinem, in j e dem. Nichts spielt eine Rolle, solange wir glauben, wir k lich und wahrhaftig glauben, egal, an welche Lüge wir uns auch klammern.“ Er zupfte an den ausgefransten Spitzen seines blonden Bartes. „Wissen Sie, die Psych o logen haben uns immer eingeredet, die Glücklichen seien die Gläubigen. Man mag an Christus, an Buddha oder Erica Stromjones glauben, an die Wiedergeburt oder die Unsterblichkeit oder an die Natur, an die
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