Kopernikus 1
Macht der Li e be oder an die Grundsätze einer politischen Partei, es läuft immer auf dasselbe hinaus. Man glaubt, also ist man glücklich. Die die Wahrheit gesehen haben, sind diejen i gen, die verzweifeln und sich umbringen. Die Wahrheit ist so gewaltig, der Glaube so gering, so dürftig, so von Irrtümern und Widersprüchen durchlöchert. Wir blicken hinter ihre Fassade und durchschauen sie, und dann sp ü ren wir das Gewicht der Dunkelheit auf uns und können nicht mehr glücklich sein.“
Ich bin nicht schwer von Begriff. Ich wußte längst, worauf Lukyan Judasson hinauswollte. „Ihr Lügner e r findet also einen Glauben.“
Er lächelte. „Alle möglichen Glauben. Nicht nur rel i giöse. Stellen Sie sich das mal vor. Wir wissen, was für ein grausames Instrument die Wahrheit ist. Wir ziehen die Schönheit der Wahrheit tausendmal vor. Wir erfinden Schönheit, Glaubensrichtungen, politische Bewegungen, hohe Ideale, den Glauben an Liebe und Kameradschaft. Das sind alles Lügen. Wir erzählen diese und andere L ü gen, zahllose andere. Wir verschönern die Geschichte, den Mythos, die Religion, wir machen alles schöner, be s ser und leichter zu glauben. Unsere Lügen sind nicht vollkommen, natürlich nicht. Die Wahrheiten sind zu groß. Aber vielleicht stoßen wir eines Tages auf die eine große Lüge, für die die ganze Menschheit Verwendung hat. Bis dahin müssen wir uns eben mit tausend kleinen Lügen begnügen.“
„Ich fürchte, ihr Lügner laßt mich ziemlich kalt“, sagte ich mit kühler, gelassener Inbrunst. „Mein ganzes Leben war ein einziges Streben nach Wahrheit.“
Lukyan hatte Nachsicht. „Pater Damien Her Varis, Ritter der Inquisition. Ich kenne Sie besser. Sie sind auch ein Lügner. Sie leisten gute Arbeit. Sie reisen von Welt zu Welt und vernichten die Dummen, die Rebellen, die Fragenden, die das Gefüge der gewaltigen Lüge, der Sie dienen, zum Einsturz bringen könnten.“
„Wenn die Lüge, der ich diene, so bewundernswert ist“, sagte ich, „warum haben Sie sich dann von ihr g e trennt?“
„Eine Religion muß zu einer Kultur und zu ihrer G e sellschaft passen, mit ihr zusammenarbeiten, nicht gegen sie. Wenn es Reibungen, Widersprüche gibt, dann bricht die Lüge in sich zusammen, der Glaube wankt. Ihre Ki r che, Pater, ist für viele Welten gut, doch nicht für Arion. Hier ist das Leben freundlich, Ihr Glaube aber ist streng. Wir lieben hier die Schönheit, und Ihr Glaube bietet d a von zu wenig. Also haben wir ihn verbessert. Wir haben uns lange mit dieser Welt beschäftigt. Wir kennen ihr ps y chologisches Profil. Der heilige Judas wird hier E r folg haben. Er bietet Dramatik und Farbe und viel Schönheit, die ästhetische Seite ist bewunderungswürdig. Seine Tr a gödie endet glücklich. Auf Arion schwärmt man für so l che Geschichten. Die Drachen sind eine nette Beigabe. Ich finde, Ihre Kirche sollte einen Weg suchen, Drachen in ihre Lehre einzubauen. Es sind herrliche G e schöpfe.“
„Mythische“, sagte ich.
„Kaum“, erwiderte er. „Schauen Sie doch mal hin.“ Er grinste mich an. „Sehen Sie, es läuft wirklich alles auf den Glauben hinaus. Wissen Sie denn, was vor dreitausend Jahren tatsächlich geschah? Sie haben Ihren Judas, ich habe meinen. Beide haben wir Bücher. Ist Ihres richtig? Können Sie das wirklich glauben? Ich habe vorerst ledi g lich Zugang zum ersten Kreis des Ordens der Lügner. D a her kenne ich nicht alle Geheimnisse, doch ich weiß, daß unser Orden sehr alt ist. Es würde mich nicht überr a schen, wenn die Evangelien von Männern geschrieben wurden, die mir sehr ähnlich waren. Vielleicht hat es nie einen Judas gegeben. Vielleicht auch nie einen Christus.“
„Ich glaube fest daran, daß es sie nie gegeben hat“, sagte ich.
„In diesem Gebäude gibt es hundert Leute, die tief und sehr real an den heiligen Judas und den Weg von Kreuz und Drachen glauben“, erwiderte Lukyan. „Der Glaube ist eine sehr gute Sache. Wußten Sie, daß die Selbs t mordrate auf Arion um fast ein Drittel zurückgegangen ist, seit es den Orden des heiligen Judas gibt?“
Ich erinnere mich, wie ich langsam vom Stuhl au f stand. „Sie sind genauso fanatisch wie alle Häretiker, die ich kennengelernt habe, Lukyan Judasson“, sagte ich zu ihm. „Sie tun mir leid, weil Sie Ihren Glauben verloren haben.“
Lukyan erhob sich ebenfalls. „Bedauern Sie sich selbst, Damien Her Varis“, meinte er. „Ich habe einen neuen Glauben und einen neuen Lebenszweck
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