Kopernikus 1
und zwei Silikonspezialmodelle mit selbsttätigem Energiekreis.
Ulf arbeitete als technischer Kaufmann in der Replikatorenbranche. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend, als der Lieblingstraum der Science-fiction-Autoren immer noch nicht klappen wollte, nämlich das einwandfreie Klonen, die Klonzeugung per Zellfusion, hatte sich die Industrie auf die perfekte Fertigung von Doppelgängern im Holo-Reprintverfahren gestürzt. Sofern der Betreffende über das nötige Kleingeld verfügte, konnte sich jedermann sein Double aus Kunststoff oder Silikonhaut pressen lassen. Diese Replikatoren wurden mit und ohne Atemmechanismus geliefert, computergesteuert oder mit künstlichem Stimmspektrum. Man konnte sie als Reisebegleiter, Schachpartner oder Judotrainer programmieren lassen. Sogar als Bildungsrobots. Die Leute waren wie verrückt nach diesen Dingern, die ihnen so etwas wie technische Unsterblichkeit vorgaukelten.
„Und wo bleibt bei diesen unheimlichen Reprints das Recht auf die unverwechselbare Persönlichkeit?“ fragte Gunda plötzlich.
„Die menschliche Persönlichkeit bleibt dabei unangetastet, Gundamädchen, weil die Replikatoren nichts als ein Abklatsch sind.“ Ulf lachte kurz auf. „Weißt du, wo ich mein größtes Geschäft gemacht habe? – Jetzt in China!“
Gunda guckte ungläubig: „Was? Ein Achthundertmillionen-Volk schafft sich auch noch Doubletten an?“
„Die Chinesen orderten hauptsächlich die Standardausführung von Weiße Europäerin!“
„Wozu denn das?“
„Sie setzen sie mit Vorliebe als Putzteufel ein, Schwesterherz.“
„Warte nur, eines Tages kommt die Kulturrevolution der Puppenroboter!“
„Meine edelsten Verkaufsrenner waren allerdings nachempfundene Kunstrepliken: Beethoven als Klavierspielautomat und Goethe mit Spruchweisheiten-Kalendarium.“
„Es lebe der internationale schlechte Geschmack!“ Sie blinzelte nach dem Sonnenstand. „O Gott, wir haben uns ja richtig festgeplaudert. Jetzt muß ich mich aber beeilen. Capeila gallinago wartet!“
„Wer?“
Gunda erklärte es ihrem Bruder, während sie auf den Hangar zuschritten: „Ein Sumpfschnepfenpärchen, dem ich auf der Spur bin. Ich nehme mir den kleinen Moor-Rover.“
„Paß bloß auf dich auf, Mädchen!“ Ulf sah richtig besorgt drein.
„Keine Sorge, ich habe mein Funktelefon dabei!“ Sie klopfte auf die kantig ausgebeulte Brusttasche ihres Overalls. „Ansonsten bin ich bei Parzelle F 8, bei den automatischen Vogelfangnetzen. Die elektronische Notrufsäule ist auch in der Nähe.“
„Na dann – gut Steg alleweg!“
Gunda war allein. Sie lauschte dem eigenartigen Huhuhuhu der Sumpfschnepfen bei ihrem charakteristischen Balzflug, dem stets ein etwas unheimlicher Pfeifton folgt.
Mit F 8 wurde eine der kleinen natürlichen Inseln bezeichnet, die sich infolge ihrer besonderen Untergrundbeschaffenheit im Moor behauptet haben. Diese lag am Rande einer Inwieke, wie die alten Fehntjer, die ehemaligen Torfgräber, eine Kanalabzweigung ihrer Wasserstraßen nannten. Inzwischen war der Graben längst wieder verschlammt, teilweise auch verkrautet. Ein trügerischer Boden mit morastigem Grund, dessen genaue Abgrenzung man nur erahnen konnte. Auf dem Inselchen wuchsen eine Art Riedgras und der Riesenschachtelhalm, dessen Familie noch aus dem Erdaltertum stammte. Die fledermausflügelartig gefalteten Vogelfangnetze wirkten an ihren gebogenen Haltegalgen in dieser skurrilen Landschaft wie naturgewachsen.
Gunda schaltete die Sensoren für die Ultraschallautomatik der Netzhalterung ein. Dann machte sie mit ihrer filmlosen Kamera die ersten Aufnahmen. Rot leuchtete das starre Kontrollauge für den Digitalbildumwandler. Kein Windhauch regte sich. Etwas Drückendes lag in der Luft, das Gunda den Schweiß aus den Poren trieb.
Wie die Moorfunde im Huldre-Museum bewiesen, wurden hier einst die Opfertoten für die Göttin des Frühlings ebenso wie Mordopfer zuerst gepfählt, bevor man sie versenkte. Nur so glaubte man sich vor ihnen als Wiedergänger schützen zu können. Eine Variante, die sie mit den Vampirgeschichten um Drakula gemeinsam hatten.
Ein aufgeschrecktes Huhuhu verscheuchte die schwarzen Überlegungen hinter der Mädchenstirn.
Platsch, machte es, und noch einmal platsch. Dann herrschte wieder drückende Stille.
Wenn das ein Frosch war, mußte es sich um einen Riesenfrosch handeln – den es hier nicht gab.
Gunda blickte unwillkürlich zu der elektronischen Notrufsäule hinüber, neben der sie ihren kleinen
Weitere Kostenlose Bücher