Kopernikus 1
Wesen hätte Gundas Kamera doch sicher verschwinden lassen, wenn es befürchten müßte, durch eine Aufnahme verraten zu werden.“
Ulf wandte sich vom Fenster ab und seinem Bruder zu. „Ein intelligentes Wesen … was soll das heißen?“
„Genau das, was ich gesagt habe.“
Als Ulf die Tragweite dieser Ideenverbindung begriff, wurde er blaß.
Olaf wollte sich den Moorschratt, das lebende Museumsinventar persönlich vorknöpfen. Der kleine Datenbildschirm in der Verwaltung verriet per Tastendruck Ernst Hümmlings Lebenslauf.
Der Mann arbeitete seit 1990, also seit siebzehn Jahren, auf seinem Posten, den er von seinem Vater übernommen hatte. Seine Vorväter hatten als Torfstecher einst für die sogenannte Fehngesellschaft und die Torfbarone schuften müssen.
Der Informationstext lieferte historisches Ergänzungsmaterial. Olaf kannte es längst auswendig. Vor vierhundert Jahren bestand das Land hier noch zu zwanzig Prozent aus Mooren. Dann begann die große Zerstörung, die Kommerzialisierung durch Kanalisierung und Kultivierung. Hinter Irland und Rußland lag Deutschland damals auf Platz drei der Welttorf-Produktion. Ein Rekord, auf den keiner stolz zu sein brauchte, wenn man die Zahl der Menschenopfer und das menschliche Elend dagegen hochrechnete, überlegte Olaf und schaltete den Apparat ab. Dem Professor, seinem Vater, war es zu verdanken, daß die Reste dieser Urlandschaft bewahrt wurden.
Mit einem flüchtigen Gefühl der Genugtuung verließ Olaf sein Büro und ging zur Westseite des Museumskomplexes, wo in einem Anbau Hümmlings Behausung lag. Nach telefonischer Voranmeldung wurde er bereits in der ‚guten Stube’ erwartet, die exakt dem Wohnraum eines alten Bauernhauses nachgebildet war: Relikt und Anschauungsmaterial aus der Zeit der längst verfallenen Moorhaufendörfer, zu gewissen Öffnungszeiten auch für neugierige Besucher zugänglich.
Jetzt herrschte hier Stille. Die Abendsonne beleuchtete das Prunkstück der gesamten Einrichtung, den jahrhundertealten Kamin mit der Wand aus hellen Kacheln voller blauer Heimatmotive: Windmühlen, Segelschippern, Fisch- und Vogelmustern. Die schweren Messingbeschläge der Feuerlochumrandung spiegelten blendend die Sonnenstrahlen zurück. In einem handgeflochtenen Korb lagen sauber gestapelte Holzscheite. In der Ecke lehnte ein Heidebesen. Im Zeitalter der Energieinseln, Wasserstoffbatterien, Gezeiten- und Solarkraftwerke ein museumswürdiger Anachronismus. Aber war das nicht die gesamte Landschaft hier mit all ihren Bewohnern und Lebensformen?
Ernst Hümmling saß in seiner grauen Uniform in einem geflochtenen Weidensessel auf rot verschossenen Kissen. Olaf begrüßte ihn mit Handschlag und hinderte den alten Mann am Aufstehen. „Bleiben Sie bloß sitzen! Ich freue mich, daß Sie so schnell wieder auf die Beine gekommen sind.“ Alberner Anfang, dachte er.
„In erster Linie war’s wohl der Schreck, Herr Doktor. Der ist mir richtig in die Glieder gefahren. Und mein Herz ist auch nicht mehr das stärkste. Aber setzen Sie sich doch bitte.“
Olaf griff sich einen der harten Holzstühle, stellte ihn mit der geraden Lehne zum Fenster und setzte sich Hümmling schräg gegenüber. „Sie wissen, daß mein Vater Sie besonders geschätzt hat“, leitete er das Verhör ein.
Hümmlings Lächeln zeichnete hundert Falten in sein Gesicht. „Ja, der Herr Professor, das war ein feiner Mann“, schwärmte er. „Der hatte im kleinen Finger mehr Verstand als das ganze Naturschutzministerium.“
„Wenn er Sie fragen würde, was es mit diesem nächtlichen Überfall wirklich auf sich hatte, was würden Sie ihm sagen?“
Hümmling bunkerte unschuldig mit den Augendeckeln. „Das gleiche, was ich auch der Polizei gesagt habe.“
„Hm“, machte Olaf enttäuscht und startete einen neuen Versuch: „Gut! Dann übernehme ich jetzt die Fragen: Was trug der Unbekannte am Leib?“
„Darauf habe ich nicht so geachtet, Herr Doktor. Irgendwas Unauffälliges jedenfalls.“
„Fiel Ihnen nichts an seiner Hautfarbe auf, Hümmling?“
„Seine Hautfarbe … ich würde sagen … wie dunkler Torf.“
„Und seine Hände – waren die genauso braun?“
Hümmling zögerte.
„Waren seine Hände so braun wie das Gesicht, oder könnte er vielleicht Handschuhe getragen haben?“ Olaf bemühte sich seine innere Erregung zu verbergen.
„Handschuhe?“ Pause. „Ja …“
„Ja?!“
„Nein! … Wissen Sie, wenn einer einem an die Gurgel geht, dann setzt da oben allerhand
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