Kopernikus 2
Die Sonne steht hoch am Himmel, aber sie scheint weit entfernt und strahlt wie die Wintersonne keine Wärme aus. Der Himmel ist leer. Dann und wann erscheinen Helme in seinem Blickfeld. Die G e sichter unter den Helmen sind jung, wie er dies einst war. Sie ziehen sich jedoch hastig zurück. Ihre Augen zeigen noch Anteilnahme, wie seine dies einst taten. Das rote Kreuz in dem weißen Kreis scheint für einen Augenblick in der Luft zu hängen, nachdem der Helm verschwunden ist.
Jemand beugt sich über ihn. Sein Hemd ist bis zur Hüfte aufgeknöpft. Auf blonden Körperhaaren glitzert Schweiß und hebt sich gegen die braune Haut wie Perlen ab. Über der Brust baumeln Erkennungsmarken und blitzen in der Sonne. Jordan spürt, wie ein Verbandspäckchen gegen seinen Bauch gedrückt und festgeklebt wird. Der Schmerz, den er so lange gespürt hat, ist verschwunden – nicht, daß er ihn nicht mehr spüren würde; der Schmerz ist noch da, wird immer da sein, aber irgendwie spielt er keine Rolle mehr, drängt sich nicht mehr in sein Bewußtsein. Fast so, als sei er der Schmerz, den jemand anders spürt und nicht er.
Weit weg hört er das Hämmern eines Kampfhubschra u bers und die unglaublich schnellen Schüsse eines automat i schen 20-mm-Geschützes. Wieder schließt er seine Augen. Das Gesicht bleibt und verspottet ihn.
Sie nimmt meine Hand, um mich die Bewegung in ihrem Bauch spüren zu lassen, um mich fühlen zu lassen, wie sich unser Kind in ihrem Schoß rührt. Die Haut fühlt sich warm und weich an, und das Gefühl von Leben, das mir das Kind vermittelt, wenn es tritt und sich bewegt, macht mir Freude, beunruhigt mich aber zur gleichen Zeit auf eine merkwürd i ge Art und überwältigt mich mit neuen Empfindungen. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter; ich spüre die sanfte B e wegung ihres Atems auf meinem Gesicht. Die Lage kompl i ziert sich. Sie macht nun Andeutungen darüber, daß ein Priester uns verheiraten soll, und ist mit den einfachen Schwüren, die wir uns zugeflüstert haben, nicht mehr zufri e den. Ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu sagen, daß der Kompaniechef mir nie die Genehmigung für eine Heirat e r teilen wird. Die Schwüre, die für sie ausreichend waren, mit mir zu schlafen, werden auch genügen müssen, damit unser Kind getauft wird und meinen Namen erhält. Bald muß ich gehen, denn es dämmert fast. Vor unserem Fenster rufen sich die Vögel ihr Lied zu. Ich muß um sieben Uhr wieder im Stützpunkt sein. Gestern abend, als ich es ihr sagte, weinte sie, denn sie hat Angst davor, allein gelassen zu werden, jetzt, da sich ihre Schwangerschaft zeigt. Unsere Einheit wird an die Front verlegt. Ihre Familie hat sie verstoßen, weil sie sich mit einem Fremden eingelassen hat. Sie hat fast alles aufgegeben, um bei mir sein zu können, und was habe ich ihr gegeben? Eine Wohnung in der Nähe des Stützpun k tes und ausreichend Geld für Kleider und Essen. Das Ve r sprechen, sie mit mir zurück in die Staaten zu nehmen, ein Versprechen, von dem ich mich manchmal frage, ob ich es halten will, halten kann. Der anderen habe ich es noch nicht gesagt. Sie glaubt, daß ich sie heirate, wenn ich zurüc k komme. Vielleicht werde ich das. Das Kind strampelt wi e der. Sie hebt meine Hand und drückt sie gegen ihre Wange. Bald darauf ist sie eingeschlafen.
„Ich friere immer noch. Warum friere ich so?“ Er berührt seine Stirn. Schweiß rinnt in Bächen an seinem Gesicht he r unter. Eine Hand ergreift sein Handgelenk. Sonnenlicht wird blitzend von einem Uhrenkristall zurückgeworfen. Er schließt seine Augen und öffnet sie wieder, um dem Gesicht zu entkommen.
„Ist das Sterben immer so schwer?“ fragt er, ohne sich an jemand bestimmten zu wenden.
Mit der Morgendämmerung begann der Himmel heller zu werden; die Dunkelheit dort oben wurde unmerklich immer blasser, um endlich ganz zu verschwinden, aber der kalte Nieselregen fiel weiter aus den tiefhängenden Wolken. Am Anfang hatte es Jordan beunruhigt, als der gesamte Himmel hell wurde und die Dämmerung nicht allmählich vom östl i chen Horizont ausging und die morgendlichen Wolken mit roten Streifen versah, aber inzwischen hatte er sich an den Effekt der Opazifikationspartikel in der Ionosphäre des Plan e ten gewöhnt. Diese Partikel fingen das Sonnenlicht auf und verteilten es über die gesamte Atmosphäre, so daß es weder morgens noch abends eine wirkliche Dämmerung gab und Tag und Nacht sich nicht wirklich unterschieden, so n dern nur
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