Kopernikus 2
oder eine Schauwand, besteht kaum … “
„Die Kulissen, Andy.“ Ich jagte ihn über das helle, du n stige Gelände des Video-Studios. Die ganze Zeit, seit er meine Maske kritisiert hatte, hatte ich gespürt, wie sich die dicke Luft hineingezwängt und meine Lungen aufgesucht hatte, um dort Schaden anzurichten. „Sie sind alle dort dri n nen.“
„Tut mir leid, daß ich den Passierschein verloren habe, den du mir geschickt hast“, sagte er, während wir schnell auf das Studio C zugingen. „Er ist mir aus der Tasche gefallen, als ich kopfüber über dem Grand Cañon hing.“
„Was hast du denn in so einer Stellung dort gemacht?“
Andy war ein hochgewachsener, hagerer junger Mann von ungefähr 29 Jahren. Da er einige Zentimeter größer war als ich, beugte er sich zu mir herunter und senkte seine Stimme. „Das hat eine Menge mit einer Romanze zu tun“, antwortete er mir durch das Mundstück seiner japanischen Atemmaske.
„Was hat der Grand Cañon …“
„Liest du etwa nicht Fax-Variety ?“
„Muß ich.“
„Dann hätte dir der Artikel über Dynamit-Dunn und me i ne Person auffallen müssen – daß wir ein neues Traumpaar sind.“
„Dynamit-Dunn, der weibliche Teufelskerl?“
„So viele Dynamit-Dunns gibt es nicht auf der Welt. G e nau die meine ich. Hast du die Lobeshymnen nicht gelesen, die letzte Woche in Woman Stunts über sie standen, oder die Traumbesprechung in Stunt Persons vor ein paar Monaten? Schon möglich, daß ich für sie voreingenommen bin, weil ich mich Hals über Kopf in sie verliebt habe, aber für mich ist sie das hübscheste Mädchen in der ganzen Selbstmord-Stunt-Branche.“
„Hier hinein“, sagte ich und stieß die Tür zum Tonstudio auf. Wir gingen zusammen hinein.
Andy zog an seiner Maske. „Du solltest dir wirklich eines von den Nusubito-Atemgeräten anschaffen, die Japaner ke n nen sich mit den Dingern aus. Ihre Luft konnte man schon lange vor unserer nicht mehr atmen. Früher, als ich noch hauptberuflich erwürgt habe, da hatte ich ein amerikanisches Produkt benutzt und damit festgestellt, daß …“
„Wie kam es denn, daß du über dem Grand Cañon geha n gen hast?“
„Ach, Dynamit plant einen Stunt, in dem sie verführt wird von drei … das ist hier London im neunzehnten Jahrhundert, stimmt’s?“
Wir waren zu einer dürftig beleuchteten Kulisse geko m men, die einen Block im East End des viktorianischen Lo n don darstellte. „Die brauchen wir in unserer Folge über Jack the Ripper.“
„Unsauber. Jack the Ripper war unsauber“, meinte Andy. „Erwürgen ist viel sauberer. Wenn ich jemals – was aber nie geschehen wird, das kann ich dir schriftlich geben – wieder jemanden umbringen wollte, dann würde ich sicherlich wi e der die Würgemethode anwenden.“
Ich trat ein paar Schritte von ihm zurück, obwohl er sehr ruhig und freundlich wirkte. „Wir müssen uns nicht über deine Verbrechen unterhalten, wenn dich das aufregt …“
„Das waren keine Verbrechen“, sagte Andy grinsend. „Das hat doch meinen Fall so berühmt gemacht. In dem U r teil, das von sechs Menschen als Schöffen sowie drei Rob o tern, die als Stützjury bestellt waren, verhängt wurde, ist einwandfrei festgestellt worden, daß ich videoempfindlich bin. Schon als Kind bin ich immer sehr stark von dem beei n flußt worden, was ich auf unserer Fernsehwand gesehen h a be. Einmal habe ich mir im Sommer ein Bein gebrochen, weil ich versucht habe, es Hunneker, dem Dschungelme n schen nachzumachen, ein anderes Mal war ich einem Sch ä delbruch nahe, nachdem ich Die Frau mit dem Stahlschädel gesehen hatte. All diese kleinen Zwischenfalle waren aber nur ein Vorspiel, bis ich an einem folgenschweren Abend im Jahr 2000 zufällig Der Würger von Barchester sah. Dann ging’s richtig los. Neun hilflose Opfer habe ich erwürgt, bis die PBGLA mir auf die Schliche kam. Genau um Mitte r nacht habe ich es immer gemacht, wie der Mörder in dem Film, daher auch mein Spitzname Captain Mitternacht. H a ben die Medien erfunden.“ Er hob seinen Kittel vorne hoch und sah sich sein eintätowiertes Diplom an. „Jetzt bin ich geheilt, und deshalb bin ich vor zwei Jahren auf Bewährung entlassen worden. Bei mir ist alles klar, solange ich mich vollständig fern von jedem Fernseher halte. Ich geb’ dir mein Wort, seit ich entlassen bin, habe ich keiner Me n schenseele etwas zuleide getan. Für Verbrechen bin ich s o wieso zu beschäftigt. Mit meiner Beratertätigkeit und meiner Werbung um
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