Kopernikus 2
Drachen gibt es auch keine mehr.“ Ihre Gedankenstimme wurde leiser, trauriger. „Der Kampf gegen die Drachen fehlt mir immer noch.“
Er sah sie, wie sie mit ausgestreckten Flügeln ihre Kreise zog; die Federn an den Flügelenden waren wie Finger au s gebreitet und ihre Füße dicht an den Körper gezogen.
„Du hast auf mich gewartet.“ Vorwurfsvoll: „Warum? Die anderen Flüstervögel sind alle weg.“
„Warum nicht? Ich wollte sehen, ob du in Ordnung bist.“
„Oder vielleicht weil …“ Er läßt den Gedanken ersterben. Zynismus brachte nichts ein.
„Was?“ Ihre Gedankenstimme verriet nicht, was sie wu ß te.
„Nichts. Wo sind die anderen Flüstervögel?“
„Die anderen gehen in die Wüste.“
„Warum bist du nicht mitgegangen?“ Er versuchte, seine dunklen Gedanken vor ihr zu verbergen.
„Eigentlich kann man jetzt nirgends mehr hin. Alle Dr a chen sind weg. Wir müssen etwas Neues zum Jagen finden. Vielleicht fliege ich ihnen später nach.“
Jordan stand auf und setzte sich in Richtung auf die F e stung in Bewegung, aber als er zu dem toten Drachen kam, blieb er stehen. Ein Gedanke nagte an seinem Gedächtnis. Er kniete einen Augenblick vor ihm, bevor er weiter durch den Schlamm schlurfte. Seine Waffe ließ er liegen, wo sie war.
Die Tore der Festung waren mit Sprengstoff geöffnet worden. Jordan kletterte über den Schutt am Eingang. Die Tunnels innen und die Gänge waren mit Geröll bedeckt. Überall lagen tote Zoanier.
Jordan schüttelte sich. Jetzt war er froh, daß er das letzte Gemetzel verpaßt hatte. Vorher allerdings, das wußte er, hätte er anders gedacht. Als er an einem Baum vorbeikam, hörte er, wie sich zwei Brüder stritten, sich wegen einer Fl a sche Fusel auseinandersetzten. Andere Brüder plünderten jeden Raum der Festung. Aus irgendeinem Grund hatte Jo r dan keine Lust, sich ihnen anzuschließen.
Schließlich kam er zu den Befestigungsanlagen. Der Wind war kalt und fuhr um die gezackten Felsenspitzen, die ihn umgaben. Er ging zu einer Steinmauer an der Kante und sah hinab. Weit unter ihm lag ein Moor. Weit entfernt b e deckten tote Drachen die ebene, ungebrochene Fläche der Tundra.
Der Flüstervogel kreiste noch immer über ihm.
Er griff in seine Tasche und zog die Zähne heraus, die er aus den Kiefern des Drachen geschnitten hatte. Die scharfen, dreieckigen Knochenstückchen glitzerten in seiner Hand. Ständiges Zerreißen von Haut und Sehnen hatte sie poliert. Er warf sie über die Festungsmauer und sah zu, wie der Wind sie abtrieb und über die schmutzige Tundra verteilte. Wenn er seine Augen zusammenkniff, konnte er fast sehen, wie die Drachenmänner sich aus dem Boden erhoben. Dr a chenmänner mit seinem Gesicht. Dann verschmolzen sie wieder mit dem Schlamm und wurden zu Reihen von we i ßen Kreuzen.
Der Flüstervogel flog weg. Er rief ihr in seinen Gedanken seinen Abschied zu und flog langsam zu den trockenen Be r gen, die im Süden gerade noch sichtbar waren. Er würde versuchen, sie und seine Gefühle für sie zu vergessen. Wenn die Flüstervögel zurückkommen würden, würde die Sache anders aussehen; dann würden sie jagen.
In der Festung hörte er wütendes, betrunkenes Geschrei und die Geräusche eines Kampfes. Später stieg aus den Ti e fen der Festung das Geräusch von Schüssen hoch und wurde vom Wind davongeweht.
Ron Goulart
Der Mann, der nicht fernsehen durfte
(INVISIBLE STRIPES)
Er rannte weg. Also schossen sie auf ihn. Er wurde fast gleichzeitig von fünf Totalflinten getroffen und in Stücke gerissen. Obwohl jeder davon ausging, daß Andy Stoker seine Schuld damit eingestand, daß er wegrannte, war er nicht schuldig.
Dieses Mal nicht.
Weil die Würgemorde aber aufhörten, als Andy tot war, wurde der Fall offiziell abgeschlossen. Niemand – oder vielmehr so gut wie niemand außer mir – weiß, was wirklich geschehen war. Bis ich mir die ganze Sache endlich zusa m mengereimt hatte, war Andy schon tot, und die Polizei des Bezirks Groß-Los Angeles würde mir ganz sicher nicht glauben. Wenn ich außerdem zu der PBGLA-Festung im Pasadena-Sektor hingehen würde, dann bekäme das niemand aus der Mordabteilung bestimmt heraus. Das kann ich nicht riskieren. Sie sind also die einzige Person, der ich von Andy Stoker berichten will, von den Würgemorden, und wer diese Verbrechen wirklich begangen hat.
Ich sah Andy zum ersten Mal an einem heißen, dunstigen Nachmittag im August 2005. Er stand vor dem Hauptgebä u de der
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