Kopernikus 3
Straffe Haut auf deinem Gesicht. Schöne, biegsame Haut – die nicht reißt, wenn du lächelst. Fleitman unterdrückte den Gedanken. Ins Unterbewußtsein getaucht, verursachte er ihm Beklemmungen. Projektion ist nichts Reales; sie ist bloß ein Ersatz für ein Gefühl.
„Nein, Mrs. Watson. Es sollte nicht länger als einen Tag in Anspruch nehmen.“ Ihr Grübchen schnappte ein paarmal auf und zu.
„Dann hauen Sie ab, verdammt noch mal!“ Sehr gut, Fleitman. Saug deine Haut ein. Fühl dich wohl. Mach Schluß mit der Beklemmung, geh aus dir heraus, nimm eine Gefühls dusche. Denk nicht weiter darüber nach. Ein Band auf der Gefühlsmaschine zaubert dir jeden Körper herbei. Jeden.
Die ganze Moralpredigt hatte nicht viel genutzt. Er ging den Flur entlang, Richtung Aufzug. Die Türen glitten automatisch vor ihm auf. Es ist nicht gut, dachte er. Du brauchst Hilfe. Fleitman, du verwechselst Moral mit Härte, und du bist für beides zu alt. Fleitman hatte die falsche Etage gedrückt. Er versuchte, seine Lippen nicht zu bewegen, während er mit sich selbst sprach. Es zuckte etwas in seiner Wange. Er saugte die Wange nach innen.
Die Aufzugstür öffnete sich, und Fleitman kam an dem Raum mit den Gefühlsapparaten vorbei. Die Tür stand offen. Exhibitionisten, dachte Fleitman. Er konnte sich jetzt umdrehen und Hallo sagen.
„Ich dachte, Sie billigen es nicht, Mr. Fleitman“, sagte Tostier. „Ich heiße Lorne Tostler; tut mir leid, daß wir nicht einander vorgestellt wurden.“ Er erschauerte. „Kalt hier.“
„Dann ziehen Sie sich doch etwas über.“
„Huh, huh. Warum sollte ich ein Vorbeugungsmittel aus Baumwolle benutzen? Übrigens, Ihre Idee mit dem Zirkus gefällt mir. Taylor will sie ja nicht anerkennen, aber die Gefühlsmaschinen erlauben wirklich nicht soviel Spielraum. Man weiß immer, daß man doppelten Abstand von der Handlung hat. Auch wenn die Gefühle unter Hochspannung stehen, weiß man es immer noch. Was da so alles von Ihnen kommt … nach dem, was ich so von Ihnen gehört habe … Die Idee mit dem Zirkus erinnert mich an einen Ort mit Namen Zirkus-Haus in Santa Baizar.“
„Ich glaube, davon habe ich schon einmal gehört“, antwortete Fleitman. „Ich glaube, es ist in Ecuador.“
„Es war das einzige Haus in der Stadt, wo Sie Erfolg haben konnten, wenn Sie zwei Nieren beim Roulette verloren. Ist überall sonst illegal. Die hatten einen kompletten Operationssaal eingerichtet. Sie hatten auch ein Bordell. Das nannte sich Der Sklavenmarkt. War ein guter Laden. Es war so verdammt realistisch, daß man Latein sprach.“ Er schob seine Hände durch die gepolsterten Ringe und schaute auf die Einbuchtung in der gegenüberliegenden Wand.
Er wartete nicht, bis Fleitman hinausging. Er war jetzt in die Steigbügel gestiegen, hatte seinen Rücken gegen das lange Stützpolster, das seine Rückennerven stimulierte, gelehnt und das Band eingeschaltet. Seine Arme bewegten sich schon, vollführten eine vorgefertigte Bewegung, streichelten ein weiches, glattes Gesicht. Seine Knie krümmten sich, und er sah so aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. Er starrte auf den Bildschirm in der Wandvertiefung, empfing die elektrischen Impulse durch die Netzhaut und leitete sie über den Sehnerv zum Gehirn. Das Rückenpolster beschleunigte seinen Herzschlag und begann, vage Gefühle angenehmer Erregung hervorzurufen, die begleitet waren von einem Vorgefühl von Gefahr.
Fleitman hatte Mühe zu atmen. Aber Tostier lächelte. Dann lachte er. Sein Rumpf geriet in ekstatische Zuckungen vor Lachen. Dann kamen Tränen: dicke, ölige Krokodilsträ nen. Aus Plastik, dachte Fleitman. Er ging rückwärts aus dem Raum heraus und schluckte seine Schuldgefühle herunter.
Er ging zum nächsten Aufzug. Fleitman hatte soeben Mary entweiht. Aber sie war ohnehin nur eine verschwommene Vorstellung. Die Gedanken an Mary verzerrten sich zu bizarren Traumbildern. Aber jeder geht nach den Sitzungen zu den Gefühlsapparaten, dachte er. Zumindest behaupteten sie alle, daß sie es taten. Nein. Sie taten es. Er war früher einmal in diesem Raum gewesen. Nein, nicht daran denken. Und dann, warum war Tostier der einzige in dem Raum? Und warum gab es bloß eine Maschine? Es hätten zehn sein müssen.
Er drückte auf den Aufzugknopf. Es gab zehn.
Fleitman forschte über den Zirkus nach, von seinen Anfängen in Rom bis zu seinem Ende in Rußland. Besonders Astley faszinierte ihn, der ehemalige Oberfeldwebel, der als erster auf
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