Kopernikus 5
Madison Square Garden findet heute abend der Boxkampf zwischen Joe Razor und Kess Kien statt. Die Kameras unserer Show sind installiert, und auf Ihren Wunsch wird dort ein Großfeuer entfacht werden! Tote, Schwerverletzte und Massenpanik … wir versprechen Ihnen Spannung am laufenden Band!
Und zum Schluß, last not least, Möglichkeit Nummer fünf. Ein von uns gemieteter Bomber der US-Luftwaffe – ja, Leute, auch die Luftwaffe muß finanziert werden! – befindet sich hoch über Detroit. Er hat eine Atombombe an Bord, die nur darauf wartet, auf Detroit abgeworfen zu werden! Ungeachtet der harten Strahlung werden sich freiwillige Kameramänner ins Inferno wagen, um Sie mit Livebildern der Situation nach der Bombe zu versorgen! Möglichkeit Nummer fünf!“
Der Mann auf dem Bildschirm machte eine Pause, holte tief Atem und sprach dann weiter. „Für alle, die unser Auswahlprinzip noch nicht kennen, hier das Wichtigste in Kürze: Wir werden nun die Nummern der Vorschläge nacheinander einblenden. Dabei bitten wir Sie, alle elektrischen Geräte in Ihren Haushalten bei der Möglichkeit einzuschalten, die Sie gerne sehen würden. Wir haben Spezialisten in allen Teilen des Landes in den Elektrizitätswerken stationiert, die den Stromverbrauch messen werden! Auf mein Zeichen hin schalten Sie dann bitte alles wieder ab, denn anschließend gelangt der nächste Vorschlag zur Abstimmung. Die vollkommene Demokratie, liebe Zuschauer – die Mehrheit entscheidet, was wir heute abend zu sehen bekommen. Alles bereit? Ich muß mich nur noch kurz mit der Regie kurzschließen – höhö, kleines Wortspiel –, dann geht’s los. Hallo, Regie, alles klar? … Ja, ich bekomme grünes Licht. Nun denn … Los! Hier kommt Vorschlag eins.“
Nacheinander erschienen die Ziffern eins bis fünf auf dem Bildschirm, während im ganzen Land alles zu den elektrischen Geräten eilte, um Mixer, Waschmaschinen, besonders aber Lichter einzuschalten.
Nach etwa zehn Minuten kam ein Techniker auf die Bühne geeilt, um dem Moderator das Ergebnis zu bringen. „So, liebe Zuschauer, die Spannung steigt auf den Höhepunkt. Was werden wir heute abend sehen? Geschichte machende Ereignisse, meine lieben Freunde, in der Tat … Nun, die Nummer eins ist schon sehr beachtlich – unser lieber Senator scheint wirklich eine ganze Menge Feinde zu haben. Nummer zwei scheidet ganz aus, und auch die Nummer drei ist es nicht: Der deutsche Bundeskanzler wird weiterhin am Leben bleiben – ein deutliches Zeichen dafür, daß das amerikanische Volk den Frieden will und es vermeidet, unnötige Verschärfungen der internationalen Lage zu provozieren. Auch Möglichkeit vier fand nur wenig Freunde. Damit verbleibt als absoluter Favorit des Abends die Möglichkeit Nummer fünf! Wir werden in wenigen Minuten Zeuge werden, wie Detroit im atomaren Höllenfeuer versinkt! Bleiben Sie dran, Leute, in wenigen Minuten melden wir uns wieder live aus Detroit!“
„Mammi, Mammi, ich hab mich verbrannt!“ rief der heulende Junge, der zu seiner Mutter in die Küche gerannt kam und um Hilfe bat.
„Zeig mal“, forderte sie besorgt. „Aber, aber, das ist doch nicht schlimm“, erklärte sie dann überzeugt. „Wir streichen ein wenig Null-O-Brenn -Geldarauf, und schon ist alles wie weggeblasen.“ Ein Nachrichtensprecher trat ins Bild. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er eine kleine Tube. „Null-O-Brenn“, sagte er, „einzigartig bei Verbrennungen aller Art!“
„Und hier, liebe Zuschauer, befinden wir uns an Bord des Bombers über Detroit, und in wenigen Minuten geht es los …“
„… Zuschauerzahlen, hihi …“
„Nun, Herr Körber“, sagte der Redakteur, streckte die Beine aus, drückte sein Kreuz in den bequemen Bürosessel, zog an seiner Zigarette und stieß dicke Qualmwolken aus. „Alles prächtig, wirklich. Spannend, emotional packend. Das macht den Leser an. Schade nur, daß ich es nicht gebrauchen kann.“ Dem hoffnungsfreudigen jungen Autor entgleiste das sich gerade anbahnende Lächeln zu einer starren Grimasse. „Aber … aber warum nicht?“ fragte er mit belegter Stimme.
„Sehen Sie“, sagte der Redakteur und zog nochmals an seiner Zigarre. „Das A und O bei einer SF-Story ist die glaubwürdige Grundlage. Der Leser darf nicht den Eindruck gewinnen, so etwas könne es gar nicht geben. Und bei Ihrer Story wird er sich fragen, ob wirklich ein Fernsehsender die Strafverfolgung außer Kraft setzen kann. Das wird Ihnen niemand abnehmen.
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