Kopernikus 6
natürlich nicht, noch nicht. Aber ich habe Beweise. Was? Okay, wie finden Sie Trochanten, Korakoiden, Tarsometatarsi und Schnabelschäfte? Aus ihrem Hühnerhaus, woher sonst? Wo würden Sie Ihre Dodos denn halten?
Entschuldigung. Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen. Ich brauche ein bißchen Hilfe. Ja, ja. Geld. Viel Geld.
In bar. Dreihundert Dollar vielleicht. Western Union, Memphis, Tennessee. Die am nächsten beim Flughafen liegt. Flughafen. Die Abteilung muß mir einen Platz nach Mauritius reservieren …
Nein. Nein. Keine Schnitzeljagd. Dorfo-Jagd. Ich weiß, daß es auf Mauritius keine Dodos gibt! Das weiß ich. Ich könnte es Ihnen erklären. Ich weiß, daß es ein paar tausend bedeutet … wenn … aber …
Hören Sie, Dr. Courtney. Wollen Sie mit Bild in den Scientific American, oder wollen Sie nicht?“
Ich sitze im Flughafencafé in Port Louis, Mauritius. Drei Tage sind vergangen, fünf Tage seit jenem schicksalhaften Morgen, da mein Auto nicht anspringen wollte. Gott segne die Leute von Sears Diehard. Ich habe im Sitzen geschlafen, auf einem Flugzeugsitz, immer wieder, verschiedene Sitze, verschiedene Flugzeuge, vierundzwanzig Stunden lang, von Kennedy nach Paris, von Paris nach Kairo, von Kairo nach Madagaskar. Als ich hier ankam, fühlte ich mich wie ein neuer Mensch.
Jetzt fühle ich mich wie ein unendlich viel traurigerer und weiserer neuer Mensch. Soeben bin ich aus dem Hause der haßerfüllten Schwester Alma im exklusiven Bezirk von Port Louis zurückgekehrt, wo früher die britischen und französischen Beamten wohnten.
Courtney wird sein Bild im Scientific American kriegen. Ich auch. Für mich wird es ein paar Wochen lang Zeitungsartikel und Talkshows geben, und ich bin sicher, Annie Mae Gudger Radwin auf der einen Seite der Welt und Alma Chandler Gudger Molière auf der anderen werden ebenfalls ihren Teil des Ruhmes abbekommen.
Ich vertilge eine Tasse Kaffee nach der anderen. Das Flugzeug nach Tananarive geht in einer Stunde. Ich habe vor, den ganzen Weg zurück nach Kairo, nach Paris und nach New York zu schlafen, dann meinen Knochensack abzuholen und auf dem Weg nach Austin wieder zu schlafen.
Vor mir auf dem Tisch liegt ein Packen Dokumente, Zeitungsausschnitte und Photos. Dafür bin ich um die halbe Welt gereist. Ich starre auf den Packen und dann aus dem Fenster über Port Louis hinweg auf das Massiv des Mont Peter Both, der die Stadt und ihren berühmten Rennplatz überschattet.
Vielleicht sollte ich irgend etwas Symbolisches tun. Den Flug annullieren. Auf den Berg steigen und hinunterblicken auf die Menschheit und ihre Werke. Martinis mit hinaufnehmen. In der hellen subtropischen Sonne sitzen (der trockene Winter hat hier gerade begonnen). Langsam die Martinis trinken, auf das Wohl von Snuffo, dem Gott der Ausgestorbenen. Einen auf den Großen Alk. Und auf den Karolinensittich. Hals- und Beinbruch, Wandertaube. Auf das Birkhuhn. Und vor allen Dingen, einen auf den Mauritius-Dodo, einen auf den weißen Dodo von Réunion, auf den Solitär von Réunion und auf den von Rodriguez. Auf euch, Raphidae, die großen Dodo-Vögel, die ihr wart.
Vielleicht sollte ich etwas ähnlich Produktives machen, zum Beispiel auf den Mont Peter Both klettern und in den Wind pissen.
Wie symbolisch. Die Geschichte des Dodo endet, wo sie begann: auf genau dieser Insel. Das Leben ist eine Imitation von billiger Kunst. Wie die Photokopie von der Photokopie von einem schlechten Roman. Ich hatte nicht erwartet, hier lebende Dodos vorzufinden (dies ist der einzige Ort, wo man sie nun wirklich bemerkt hätte). Ich kann immer noch nicht glauben, daß Alma Chandler Gudger Molière fünfundzwanzig Jahre hier leben konnte, ohne
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