Kopernikus 8
hinter ihnen aufgegangen, war über sie hinweggewandert und vor ihren Augen untergegangen. Nun ging sie wieder auf, und obwohl sie während des dreißigstündigen Fluges die übliche Schlafperiode einer Nacht zur Verfügung gehabt hatte, fühlte sie sich erschöpft.
Sie drehte sich um und glitt geräuschlos aus der Hängematte, dann streckte sie die Schultern in der kühlen Nachtluft. In mehreren anderen Hängematten in der langen Kabine räkelten sich leise schnarchende Gestalten. Spinne ging an den Schläfern vorbei zur Luke.
Im Bug verharrte sie ein wenig auf der Toilette, dann stand sie auf und spritzte sich kaltes Wasser aus dem Waschbecken ins Gesicht. Sie strich mit langen Fingern ihren zerzausten weißen Afro zurück und betrachtete anschließend ihre flachen, platt gedrückten Gesichtszüge im Spiegel. Im fahlen Licht vom winzigen Fenster des Badezimmers schien sie wie ein Geist im Spiegel zu schweben, wie das Nachglühen einer Person, die ganz plötzlich verschwunden ist. Sie zitterte, trocknete sich geschwind mit dem rauhen Handtuch ab und verließ den Waschraum wieder.
Als sie die erste Luke zur Linken öffnete, erblickte sie dahinter die Silhouette von Pilotin und Cockpit vor dem Hintergrund der Berge im Dämmerlicht. Hier konnte sie das Schnurren der Motoren noch deutlicher hören. Sie schlüpfte seufzend in den leeren Sessel des Copiloten.
Die Pilotin sah herüber. „Hallo. Schon auf?“
„Immer noch. Ich konnte nicht richtig schlafen. Ich bin der Passagier nach Noti.“
„Oh, richtig.“ Das Gesicht der Pilotin wirkte heiter im diffusen Schein der Dämmerung. „Da haben Sie ja nicht mehr lange zu warten. Wir werden in etwa vierzig Minuten landen.“
„Eugene?“
Die Pilotin schüttelte den Kopf. Ihr Haar war kurz, es sah aus wie ein Fell. „Nein, Ihre ist die einzige Haltestelle bis zur Küste. Ich habe Zeit genug, Sie vor der Haustür abzuliefern.“
„Fein! Ich konnte mich gar nicht mit dem Gedanken an eine dreistündige Fahrradtour abfinden.“
Die Pilotin tippte mit einem Finger gegen das Mikro des Funkgerätes. „Ist eine verdammt ruhige Nacht gewesen. Bis Astoria müssen wir auch keinen mehr an Bord nehmen. In dieser Jahreszeit bleiben die Leute lieber zu Hause. Sie kümmern sich um ihre Gärten oder schneiden die Bäume …“
Spinne gähnte. „Erinnern Sie mich nicht daran! Ich war gerade drei Wochen bei dieser GRC-Konferenz im Osten, und ich weiß ganz genau, daß niemand bei mir zu Hause sich die Mühe gemacht hat, meine Zwergapfelbäume zu schneiden.“
Die Pilotin lachte. „Ja, ich weiß, was Sie meinen. Wenn ich diese Rundreise hinter mir habe, werde ich den Sommer über daheim bleiben. Meine Familie fehlt mir sehr.“
Spinne stemmte ein Bein gegen die Konsole und kreuzte das andere darüber. „Wo ist das?“
„In den Cumberlands. Wir haben eine große, alte Farm dort draußen, mit Schafen, Hühnern, Soja und Hanf. Etwa zwanzig von uns leben ständig dort. Sechzehn Frauen und vier Töchter.“
Spinne betrachtete die Pilotin überrascht. „Sie sind verheiratet?“
„Logisch. Ich mag diese Abmachung. Auf dieser Seite des Ozeans haben wir die besten Zehn Jahresverträge.“ Sie legte mit den Zehen eine Reihe von Schaltern um. „Und Sie?“
Spinne machte eine unbestimmte Geste. „Oh, einfach eine kleine, ausgedehnte Familie. Mein Sohn, sein Vater, seine Mutter, ich, mein Bruder, sein Geliebter, seine Tochter. Wir wollten niemals heiraten. Vor einigen Jahren änderten wir alle gemeinsam die Namen, aber etwas Formelleres als das wollten wir alle nicht.“
Die Pilotin schniefte. „Klingt nach einem kleinen, verschworenen Klan.“
Spinne runzelte die Stirn und zupfte an einem
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