Kopernikus 8
meine menschliche Haut – fast so dunkelbraun wie mein Fell. Meine Mähne, mein Schweif und die unteren Teile der Beine sind schwarz.
Der Bach fließt lärmend vorüber. Er ist angeschwollen vom Schmelzwasser des Schnees. Er stürzt über einen Steinhang in einen Bergsee, in dessen Tiefen sich eine andere Welt der Freiheit abzeichnet. Dort werden die blauen Berge zu purpurnen Tälern, die man leicht erreichen könnte, wüßte man nur den Weg, der einem Zutritt zu ihnen verschafft. Die Berge aber sind unbezwingbar. Einer der größeren Pegasi erkletterte sie einst auf der Suche nach dem Himmel, doch dann glitten seine Hufe auf halbem Weg auf bloßem Felsgestein aus, und er fiel. Pferdebeine sind nur sehr schwer zu heilen, daher wurde er human getötet. So human, wie ihm das Leben geschenkt worden war.
Die Oberfläche des Teiches gerät in Bewegung, und einer vom Meervolk gleitet auf die vom Nebel feuchten Steine. Das ist der Lieblingsplatz des Meervolks, wo sie sich aufwärmen, wenn ihnen das kalte Wasser die Erinnerung nehmen will, daß sie eigentlich Warmblüter sind. Ich glaube, das Wesen ist eine Seejungfrau, kann es aber auf diese Entfernung nicht mit Sicherheit sagen. Sie sind alle schlank und leicht, haben schmale Schultern und helles Haar. Die Frauen haben fast keine Brüste und die Männer keine angemessenen Geschlechtsorgane. Sie haben alle nur Schlitze, die, wie bei Fischen, halb unter den Schuppen ihrer Unterkörper verborgen sind. Ich habe nie gesehen, daß sie miteinander kopuliert hätten, daher dient die Öffnung wahrscheinlich nur der Ausscheidung und der Lust unserer Schöpfer. In dieser Hinsicht sind die Meerwesen ebenso deformiert wie ich, aber auf eine andere Art. Sie haben überhaupt keine Genitalien, ich aber habe gleich zwei. Ich bin sicher, daß ein Bioingenieur sich damit einen Preis für kluges Design verdient hat. Mein menschlicher Penis befindet sich an der üblichen Stelle, aber oberhalb der Pferdebeine. Meine Hengstorgane sind wesentlich diskreter zwischen den Hinterbeinen verborgen.
Die Seejungfrau schlägt mit dem Schwanz aus, funkelnde Wassertröpfchen spritzen in die Luft. Ein weiterer Angehöriger des Meervolks gesellt sich zu ihr. Aber sie berühren einander nicht, zwischen ihnen finden keine Intimitäten statt. Vielleicht hat man ihnen solche Gefühle bei der Erschaffung genommen, vielleicht dämpft das eiskalte Wasser ihre Hingabe und ihre Körper.
Doch, oh ja, sie sind sehr hübsch. Wenn ich zum Trinken hinauswate, kann ich manchmal ihre Körper unter der Wasseroberfläche sehen, sie schwimmen gemäß ihren eigenen, nicht nachvollziehbaren Mustern, ihr helles Haar schwebt hinter ihnen her, golden, scharlachrot, silbern, ihre Schuppen schimmern hellblau, orange und schwarz, aber immer mit einem metallischen Schimmer. Ihre Schwanzflossen sind wie Gaze, wie Brokat oder durchsichtige Seide, in der man die Venen sehen kann. Ihre Kiemenschlitze bilden unzählige Linien über Rücken, Nacken und Kehlen.
Sie sprechen niemals.
Würde ich aus meinem Versteck hervortreten, die beiden Meerwesen würden augenblicklich unter der Wasseroberfläche verschwinden. Zwei konzentrische Kreise winziger Wogen würden aufwallen und langsam wieder verschwinden, und ich wäre wieder allein. Daher bewege ich mich nicht. Ich beobachte die herrlichen Geschöpfe, die sich sonnen und mit gelegentlichen Bewegungen ihrer Schwanzflossen Wasser über ihre Körper spritzen.
Ich beneide ihre Zufriedenheit mit Einsamkeit und Unabhängigkeit ebensosehr, wie ich Elfleda beneide. Sie werden niemals von den Spielen berührt, die unsere Herren miteinander spielen. Elfleda schaut von einem hohen Plateau herab, das nur sie allein erklimmen kann. Das Meervolk gehorcht mit blicklosen Augen den Befehlen der Herren. Ich glaube, sie haben anderentags alles wieder vergessen.
Ich vergesse niemals. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Zwischenfall, seit ich hierher gebracht wurde. In Kürze wird alles von vorn beginnen.
Eines der Meerwesen verschwindet, kurz darauf das andere. Mir ist im Wald kühl geworden, außerdem bin ich hungrig. Die Sonne scheint mir warm auf den Rücken, nachdem ich den Schatten verlassen habe und mich durch die Wiese dem Obstgarten nähere.
Licht, das durch die gesprenkelte Decke hereinfällt, erzeugt ein Muster auf meinem Fell. Das lässige Summen der schwarzen Fliegen stört mich nicht weiter. Ich muß gestehen, manchmal kann es von Vorteil sein, einen langen Schwanz zu haben.
Ein Nymphe und
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