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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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hatte geben sollen. Da waren Spuren in ihrem Gesicht, die sich nicht auslöschen ließen. Spuren von zerstörten Träumen und bitteren Erfahrungen. Es wäre leichter gewesen, die Illusionen zu verleugnen, sich selbst aufzugeben, um überleben zu können. Aber vielleicht war sie dazu einfach noch nicht tot genug.
    Ihr Geburtstag gestern. Wieder ein Jahr verloren, wieder ein Jahr, das vorübergegangen war, ohne daß sich in ihrem Leben etwas geändert hatte. Es war schon merkwürdig: Immer an solchen Tagen überfiel sie Resignation. Das plötzliche Bewußtsein, daß man mit erschreckender Gewißheit stets an demselben Punkt anlangte, daß sich das Leben einfach im Kreis drehte. Jeder Tag wie der andere. Jahr für Jahr dieselbe Rolle, die man zu spielen hatte. Die Rolle? Ihr Leben.
    Monika betrachtete sich in der Spiegelfläche der Decke. Sie hatte zugenommen. Vielleicht würde man ihr deswegen sogar von der Verwaltung Vorhaltungen machen. Wie alt war sie eigentlich geworden – gestern? Im Prinzip eine bedeutungslose Frage; nur die regelmäßigen Formulare und Fragebögen interessierten sich für ihr wahres Alter. Dabei war sie jung, viel zu jung, um sich mit all dem abfinden zu dürfen. So wie die anderen hier, denen man seine Ängste ins Gesicht schreien konnte und die doch nicht vergessen würden zu lächeln.
    Was hatte der Mann vorhin gesagt?
    „Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, Mädchen.“
    Ja, das hatte er gesagt, und vielleicht würde sie auch deswegen noch von der Verwaltung hören. Schließlich hatte er recht gehabt. Für sein Geld konnte er ein wenig Gefühl verlangen. Falsches Gefühl selbstverständlich, aber immerhin. Außerdem hatte er ernsthaft versucht, seine eigene Überlegenheit hinter einem verständnisvollen, herablassenden Lächeln zu verbergen. Da konnte er schon ein wenig Dankbarkeit erwarten.
    Monika lag noch immer mit leeren Augen zwischen den Spiegelwänden, als Sissi langsam den Raum betrat. Sie strich sich verlegen eine Strähne ihres langen blonden Haares aus dem erkalteten Gesicht, aber auch jetzt ließ sich ihre Maske aus Stärke und Gleichgültigkeit nicht erschüttern.
    „Ich habe mir gedacht, daß du hier bist“, sagte sie leise und setzte sich neben Monika auf das metallisch glänzende Laken. Sie spürte, daß ihre einstudierte Fröhlichkeit nichts helfen würde.
    „Hat er sich beschwert?“ fragte Monika übergangslos. Sissi nickte.
    „Zumindest hat er dich bei der Verwaltung gemeldet. Du wirst noch von denen hören, das ist dir doch klar?“
    „Weißt du, Sissi, irgendwie habe ich das Gefühl, in mir ist nicht genug Kraft. Ich versuche, mir einzureden, daß dies alles hier selbstverständlich ist, ein Job wie jeder andere, vielleicht im Dienste eines höheren Zieles, aber es gelingt mir einfach nicht. Mir ist so schlecht, Sissi.“
    Das ältere Mädchen versuchte, ihren Augen auszuweichen, aber da waren die Spiegel, und immer wieder trafen sich ihre Blicke. Irgendwie ein Gefängnis. Ihr Leben. Sie waren hineingeboren in ihre Bestimmung, zweite Generation auf diesem Vergnügungsdeck, in dieser FREEWORLD , und niemand hatte sie gefragt, ob sie geboren werden wollten, niemand hatte sie gefragt, weil auch niemand auf ihre Antwort gehört hätte. Vielleicht hatten sie irgendwann tatsächlich die theoretische Möglichkeit gehabt, zu einem der Kolonistendecks aufzusteigen. Irgendwann. Aber sie hatten diese Chance verpaßt, weil es für sie nie etwas anderes gegeben hatte als diese Welt des Glitzers, der verlangten Verlogenheit und Selbstaufgabe.
    „Geh nach Hause, Monika, versuch einfach abzuschalten. Es hat doch keinen Sinn, hier zwischen den Spiegeln zu liegen und langsam, aber sicher den Verstand zu verlieren. Arbeiten kannst du heute doch nicht mehr. Irgendwie kläre ich das schon bei der Verwaltung.“
    „Und was soll sich dadurch ändern? Kannst du mir das mal verraten? Ich will nicht mehr weglaufen. Ich kann nicht mehr, Sissi, ich will einfach nur noch hier raus, irgendwie spüren, daß ich noch ein Mensch bin, daß ich etwas für mich und meine Zukunft tun kann. Meine Mutter war vielleicht mehr oder weniger freiwillig hier, aber ich nicht!“
    „Vergiß es, Moni, es hat keinen Zweck, sich in solchen Gedanken zu verlieren. Draußen läßt man dir keine Chance. Nicht die geringste. Weder die Verwaltung noch die Menschen da draußen. Das beste ist, du holst dir einen Termin beim Psychologischen Gesundheitsdienst und läßt dich behandeln. Denn, sieh mal, irgendwo

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