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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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fragte sie schließlich. Monika schüttelte den Kopf.
    „Nein, du weißt ja, wie es momentan in mir aussieht. Ich hatte einfach Angst. Und außerdem: Mit wem außer dir könnte ich über so etwas reden?“
    Sissi stand auf und begann, in der engen schmucklosen Kabine auf und ab zu gehen. Ihre Blicke wanderten scheinbar ziellos über die grauen Metallwände mit den wenigen persönlichen Fotos aus Monikas Leben, über die Decke, aus der das helle Licht ins Zimmer drang, über den Tisch, die Liege, die metallisch glänzenden Einbauschränke, den alten Teddybären in der Ecke, den die Freundin von ihrer Mutter geschenkt bekommen haben wollte. Von ihrer Mutter, die sie nie gesehen hatte. Niemand auf diesem Deck kannte seine Eltern. Das war besser so, hieß es, für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Sicherstellung der Funktionalität dieser Einrichtung. Also wuchsen alle Kinder in der zentralen Kinderkrippe von FREEWORLD auf.
    Sissi war nachdenklich vor dem rosa Teddybären stehengeblieben, drehte sich dann plötzlich ruckartig um.
    „Hast du schon mal daran gedacht, den Psychologischen Gesundheitsdienst einzuschalten?“ Ihre Stimme war bei diesen Worten ungewöhnlich leise geworden.
    „Den Gesundheitsdienst? Was sollte das bringen? Man wird mir viele Fragen stellen, mich so lange mit lächerlichen Geschichten übergießen, bis ich mal wieder für einige Zeit tatsächlich glaube, was sie mir erzählen. Nur damit ich wieder funktioniere. Und wer immer diesen Brief auch geschrieben haben mag, er wird in der Behandlung ebenso seine Probleme und Zweifel vergessen müssen, weil es nun mal nicht gesund ist, Probleme und Zweifel zu haben. Aber sei doch mal ehrlich, Sissi, ist das denn eine Lösung? Sind Probleme nicht ein Zeichen dafür, daß irgend etwas nicht stimmt? Daß man vielleicht etwas Grundsätzliches in Frage stellen muß, um sich selbst zu finden?“
    „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, Monika. Glaub mir, ich meine es nur gut mit dir. Ich möchte nicht, daß du mit offenen Augen in dein Verderben rennst.“
    Monika war aufgesprungen. Sie spürte, daß es ihr nicht gelingen würde, das mühsam gefestigte Weltbild ihrer Freundin zu erschüttern. Und gerade das ließ in ihr eine ohnmächtige Wut aufsteigen.
    „Was heißt Verderben, Sissi? Kann es schlimmer werden als jetzt? Ich will nicht länger mehr eine Maschine in einer perfekten sterilen Spiegelwelt sein! Wozu denn? Ich will leben! Atmen, verstehst du?“
    Sissi trat wortlos an ihre Freundin heran, legte ihr den rechten Arm um die Schulter, strich ihr über das kurze Haar.
    „Weißt du, Moni, eigentlich wollte ich dir das nicht sagen, weil du selbst so vernünftig sein müßtest, es zu begreifen. Aber du bist so gefangen in deinen wirren Gedanken.“ Sie sprach leise, flüsterte beinahe, und ihre Stimme klang merkwürdig sanft.
    „Dieser Brief, Monika – bist du wirklich so naiv, ihn für echt zu halten? Begreifst du nicht, daß das Ganze viel eher eine Art Prüfung sein könnte? Daß man dir diesen Brief zugespielt haben könnte, um deine Reaktion zu beobachten? Jeder Raum hier wird überwacht, das weißt du so gut wie ich. Also? Was liegt näher?“
    Monika riß sich los. In ihren Augen waren Tränen, und sie warf sich auf den kalten Boden, blieb liegen, den Blick starr auf die Decke über sich gerichtet.
    „Das glaub ich nicht, Sissi, das will ich einfach nicht glauben! Sag doch, daß es nicht wahr ist!“
    „Ich weiß es nicht. Vielleicht hast du tatsächlich recht. Aber ich weiß, daß du zu dir selbst zurückfinden mußt. Vergiß den Brief. Er hat für dich keine Bedeutung. Vergiß ihn und geh zum Gesundheitsdienst, okay? Und morgen bist du wieder die alte.“
    Sie zögerte einen Augenblick.
    „Glaub bitte nicht, daß ich dich nicht verstehe, Moni. Jede von uns hat irgendwann diese Phase durchmachen müssen, aber wir alle haben sie überstanden.“
    Sie warf noch einen letzten Blick auf ihre Freundin und wandte sich dann hastig zur Tür.
    „Wir sehen uns morgen, Monika. Schlaf dich erst mal aus und denk nicht zuviel nach …“
    Die Tür schloß sich hinter ihr, Monika war allein, und der Brief lag noch immer auf der transparenten Platte des Tisches. So rollte sie sich schwerfällig in eine Ecke ihrer Kabine, nahm ihren rosa Teddybären in den Arm, preßte ihn fest an sich und versuchte zu träumen.
     
    Christine versuchte, sich etwas aus dem Ich des toten Mädchens zurückzuziehen. Es war nicht gut, zu tief in die unkontrollierbaren

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