Kopernikus 9
ist das alles doch nur eine Einstellungssache.“
Monika warf sich auf dem metallischen Laken herum, vergrub ihr Gesicht in dem einzigen Kissen.
„Einstellungssache“, sagte sie leise. „Natürlich. Dann erzählen sie dir, wie notwendig du bist, welche bedeutende Aufgabe du erfüllst auf diesem Schiff und daß alle zusammenstehen für das große Ziel. Was ist denn auch dabei? Du verkaufst dich für ein paar halbe Stunden, aber dein Leben für immer. Und weißt du vielleicht, was sich ändern soll, wenn wir unsere neue Heimat erreichen? Glaubst du, dann wird alles vergessen sein, was hier an Bord war? Ich sage dir eines, Sissi: Es wird genauso sein wie hier und jetzt! Nichts wird sich ändern! Man hat schließlich nur die besten, die tüchtigsten, die reichsten Menschen auf diese Reise geschickt. Wir, wir sind doch nur Teile dieses verdammten Schiffes. Wir gehören zur Einrichtung, Sissi, ist dir das überhaupt klar?“
Sissi antwortete nicht. Sie stand schweigend auf, fuhr dem Mädchen noch einmal über das kurze blonde Haar und verließ dann den Spiegelraum. Es war nicht gut, wenn Monika ihre Tränen sah.
„Puls und Atmung leicht erhöht. Keine Komplikationen bisher“, meldete die Stimme aus den Kopfhörern.
Dr. Jagu nickte nur flüchtig. Dann nahm er sich noch einmal die Akte der Toten vor. Vermutlich nicht leicht für die Neue. Diese Monika Andergast hatte eine komplizierte, nicht unbedingt berechenbare Psyche gehabt. Vielleicht sogar gestört. Viele Daten der letzten Zeit deuteten darauf hin. Der Bericht von der Überwachung. Potentieller Konfliktfaktor. Möglicherweise zu spät erkannt. Könnte sogar noch Ärger geben für die Verwaltung der FREEWORLD . Schließlich hatte auch der Hinweis eines der anderen Mädchen bereits vorgelegen.
„Martin“, wandte er sich schließlich wieder dem diensthabenden Spezialtechniker zu, „gehen Sie kein Risiko ein. Sobald sich verdächtige Veränderungen bei der Neuen zeigen, holen Sie sie von hier aus zurück. Brechen Sie einfach ab.“
„Auch wenn dann der Kontakt zu der Toten endgültig abreißt?“
„Auch dann. Diese Monika Andergast ist den ganzen Aufwand nicht wert. Ich will nicht, daß eines unserer Mädchen ihretwegen seine seelische Gesundheit aufs Spiel setzt. Verstanden?“
„Verstanden.“ Der Mann nickte nur leicht und konzentrierte sich dann wieder auf seine Kontrollinstrumente. Zwei Stunden der Rücklaufzeit waren erst verstrichen.
Als Monika ihre Kabine betrat, lagen drei Briefe im Printer. Sie nahm die eng bedruckten Bögen aus dem Auffangkorb und warf sie achtlos auf den niedrigen Kunststofftisch in der Mitte des Zimmers. Dann ging sie an die Bar, holte sich wahllos eine halbvolle Flasche und ein Glas aus den Regalen, um sich dann schließlich seufzend auf ihre mit synthetischem Fell bezogene Liege fallen zu lassen.
Sissi hatte zweifellos recht gehabt: Vielleicht gelang es ihr hier, in der Ruhe der vertrauten Umgebung, über ihre Schwierigkeiten nachzudenken und eine Lösung, und sei es auch nur eine vorläufige, zu finden. Während sie sich ihr Glas randvoll mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit goß, fiel ihr Blick wieder auf die Briefe. Es war wirklich nicht einfach, die Probleme für kurze Zeit zu vergessen …
Resignierend nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und las dabei den ersten Brief. Von der Verwaltung. Eine Vorladung zur Anhörung über ihre mangelnde Motivationsbereitschaft. Monika hatte, diese Vorladung erwartet.
Es war nicht die erste und würde wohl auch nicht die letzte sein. Sie funktionierte nicht so, wie man das von ihr erwartete, und Funktionsstörungen mußte man nachforschen, um sie schließlich beseitigen zu können. Das war nur logisch.
Der zweite Brief bestand aus drei Bögen. Ein Formular des Psychologischen Gesundheitsdienstes zur Voruntersuchung. Fragen über ihre Vergangenheit, Fragen über ihr jetziges Leben, Fragen über ihre Gefühle, Ängste und Träume und eine Unmenge von Fragen, deren Sinn und Bedeutung sie nicht verstand und die vermutlich aufgrund neuester psychologischer Erkenntnisse Aufschluß über ihr Unterbewußtsein geben sollten.
Auch ein derartiges Formular würde sie nicht zum ersten Mal ausfüllen, und sie war sich ebenso darüber im klaren, daß ein Termin in der Zentrale des Psychologischen Gesundheitsdienstes folgen würde.
Monika ließ die Bögen gleichgültig zu Boden fallen, dann nahm sie den dritten Brief vom Tisch.
Er trug keine Absenderangabe.
„Liebe
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