Kopernikus 9
möchte ich bei dir ein Bad nehmen – geht das?“
„Aber ja, warte einen Moment.“ Esther drückte auf eine Sensortaste neben einem winzigen Hundertwasser; ein Teil der Wand glitt zur Seite und gab den Blick auf ein Badezimmer mit halb in den Boden eingelassener, marmorverkleideter Zweierwanne frei.
„Ich werde dir Gesellschaft leisten“, plapperte Esther weiter und stieg schon aus ihrem Kleid. Ginny zog sich ebenfalls aus, und sie kletterten in die Wanne, die sich inzwischen gefüllt hatte.
„Heute habe ich gemerkt, daß ich einen neuen Budd haben möchte“, sagte Ginny, als ihre Freundin ihr den Rücken einseifte, „ich habe gelesen, daß die neuen Modelle die Opfergaben richtig in sich aufnehmen können, und auch die Drüsenfunktionen …“
„Ich schenke dir meinen – ich will ohnehin keinen mehr haben“, erwiderte Esther und küßte Ginny auf die Schulter.
„Du willst ihn nicht mehr?“
„Weißt du – eigentlich ist der Budd doch eher etwas für ältere Menschen, findest du nicht?“
„So habe ich das noch nie gesehen. Ich habe mich an ihn gewöhnt, und schließlich sind doch alle Bürger Neobuddhisten.“
„Nein, Ginny – nicht alle.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, es gibt doch eine Menge Leute, die einen anderen Glauben haben.“
„Die Christen, meinst du?“ fragte Ginny und stieg aus der Wanne.
Esther folgte ihr und fing an, sie abzutrocknen. „An die habe ich auch gedacht“, sagte sie.
„Aber es ist verboten …“
„Ich weiß, du bist im Amt für Depersonalisation, und man verlangt Loyalität von dir, aber privat – bist du denn mit allem einverstanden, was die Gesetze verlangen?“
Esther war mit dem Abtrocknen fertig; sie warf das Badetuch in Richtung der Wanne und streichelte Ginnys Hüften.
„Du hast dich gut gehalten“, sagte sie, „komm, wir suchen dir ein richtig verführerisches Kostüm aus.“
Ginny folgte ihr zögernd zum Kleiderschrank. „Mach du das für mich“, sagte sie. „Findest du die Gesetze denn ungerecht ?“
Esther schob eine Weile Bügel hin und her, durchstöberte die oberen Fächer, zog dann eine der unteren Schubladen heraus und beschäftigte sich erneut mit den Kleidern an den Bügeln. Endlich schien sie gefunden zu haben, was sie suchte, und hielt es in die Höhe: ein giftgrünes Kleid von ungewöhnlichem Schnitt.
„Zieh das mal an“, sagte sie. Ginny bedachte die Kreation mit einem zweifelnden Blick, nahm sie entgegen und zog sie über den Kopf.
„Hör mal, Ginny – du bist meine Freundin“, fuhr Esther fort, „ich möchte, daß du dir überlegst, ob du mit der Verfolgung Andersgläubiger … wirklich einverstanden bist.“
Ginny zog das Kleid über die Hüften und sah an sich herunter. Es war knöchellang mit einem tiefen Einschnitt in Form eines umgekehrten V vorne in der Mitte.
„Die Neos töten einander seltener als es in sämtlichen Kulturepochen zuvor der Fall war“, sagte Ginny, „weil es sie mit mindestens einer zusätzlichen Wiedergeburt belastet. Die Christen – glauben nicht an das Karma?“
„Nein, Ginny. Wir glauben nicht an Wiedergeburten während unseres irdischen Daseins. Bei uns gibt es nur eine einzige Auferstehung – und die ist endgültig. Komm, wir gehen nach unten.“
7
Rod Kendall stattete der Arena am nächsten Nachmittag einen zweiten Besuch ab.
Er begab sich direkt hinunter in die Unterkünfte der Gladiatoren.
Ein glatzköpfiger, alter Mann kam aus seiner verglasten Kabine und fragte den Besucher nach seinen Wünschen.
Rod hielt ihm das Amtssiegel entgegen und sagte: „Ein gewisser Ahmed Mu’allaqat hat gestern einen Kampf überlebt – ist er schon entlassen?“
„Mu’allaqat, eh? – Das ist richtig: Wir hatten keine gesetzliche Handhabe, ihn länger festzuhalten. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ein derart unwahrscheinlicher Ausgang eines Kampfes allgemein als Karma gewertet wird – es kommt einem Beweis der Unschuld nahe. Wenn Sie sich vorher gemeldet hätten, Amtmann …“
„Unwichtig“, winkte Rod ab, „sagen Sie mir nur, weshalb er hier gewesen ist.“
„Er wurde uns von einer nicht näher bezeichneten Person als muslimischer Terrorist genannt. Als wir ihn zu seinem Sieg beglückwünschten – das ist hier so üblich –, gab er damit an, in einem geheimen italienischen Camp ausgebildet worden zu sein.“
„Hat er, als er ging, seine Adresse hinterlegt?“
„Nein, Sir. Wollen Sie eine Kopie seiner P-Karte haben?“
„Lassen Sie nur“,
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