Kopf frei
bleiben.
Zum Trainingspunkt »Geschichten erzählen, aber anders« gibt es sechs Ausnahmen . Storys sind wünschenswert und kontaktfördernd, wenn folgende Aspekte vorliegen:
Die Geschichte dient der Veranschaulichung eines Gedankengangs. Sie macht etwas Abstraktes verständlicher.
Die Geschichte hat unmittelbar mit deinem Gegenüber zu tun.
Die Geschichte bezieht sich auf soeben Erlebtes, das dich noch aktuell bewegt.
Die Geschichte bezieht sich auf Erlebtes, das zwar schon ein Weilchen zurückliegt, aber die Befindlichkeit noch ganz aktuell färbt.
Die Geschichte wird vom Gegenüber eingefordert, um x, y, z besser einordnen zu können.
Die Geschichte hat für die Zuhörer (!) extrem hohen Unterhaltungswert, was sich naheliegenderweise nur an der Reaktion der Zuhörer ablesen lässt.
Auftritt Hugo
HUGO:
Moment mal! Den letzten Punkt verstehe ich nicht ganz.
LOTTI:
Was verstehst du nicht?
HUGO:
Wieso kann ich denn die Geschichte nicht erzählen, wenn sie nur für mich extrem hohen Unterhaltungswert hat? Ich bin doch auch jemand!
LOTTI:
Eben!
HUGO:
Was? Wie meinst du?
LOTTI:
Weil du der wichtigste Mensch in deinem Leben bist – ob du willst oder nicht –, wäre es schade, wenn deine Superstory bei anderen nur Gähnen auslöst. Damit würdest du weder dir noch der Story gerecht.
HUGO:
Ja, das stimmt.
LOTTI:
Der Volksmund spricht an dieser Stelle von den Perlen, die nicht vor die Säue geworfen werden sollen.
Zur Frustprophylaxe ist es sinnvoll, die Revolution unserer Sprechgewohnheiten sportlich und neugierig anzugehen. Das ist besser als leistungsgeil und verbissen. Es ist interessant und spannend zu beobachten, wie stark der Drang ist, Storys zu erzählen. Wenn wir den Erzähl-Automatismus bei uns und anderen genau mitbekommen, kippen wir wahrscheinlich aus den Latschen. Im nächsten Schritt können wir allmählich die Geschichten aus unserer Textproduktion rausdrehen. Dabei ist es hilfreich zu sagen: »Jetzt lasse ich eine (oder zwei, drei) Geschichten weg.« Und immer auf das Gefühl achten,
das wir beim Weglassen der Storys haben! Es wird möglicherweise ambivalent sein: Unser Ego erzählt nämlich supersaugern alles, um die eigene Egosubstanz zu füttern und zu stabilisieren: »Menschen sind unverbesserliche und geschickte Geschichtenerzähler, und sie haben die Angewohnheit, zu den Geschichten zu werden, die sie erzählen. Durch Wiederholung verfestigen sich Geschichten zu Wirklichkeiten, und manchmal halten sie die GeschichtenerzählerInnen innerhalb der Grenzen gefangen, die sie selbst erzeugt haben.« 5
So steht’s um den Anteil in uns, der Geschichten erzählt. Ein anderer Anteil findet die eigenen Geschichten oder die anderer langweilig, denn dieser Anteil sehnt sich nach echtem Austausch und Gegenwart. Definieren wir ihn als »Selbst«, um ihn vom Ego abzugrenzen. Die Frustprophylaxe gelingt auch gut, wenn wir komische Elemente in unser Übungsprogramm integrieren. Nehmen wir an, jemand hätte gerade angesetzt zu erzählen, wie er vor vier Jahren fast ein Reh überfahren hätte. Nach drei Sätzen merkt er, dass er in eine Story schlittert. An dieser Stelle dreht er einfach langsam den Ton aus seinem Redefluss wie beim Leisedrehen eines Radios.
Hugo auf der Festplatte
LOTTI
(weiß, dass Hugo gerne segelt und will ihn testen) : Ich überlege, ob ich einen Segelkurs machen möchte.
HUGO:
Ich habe meinen Segelschein vor 19 Jahren in Holland gemacht. Zusammen mit meiner damaligen Frau. Nachmittags sind wir fast immer in die Bäckerei und haben »Appelgebak mit Slagroom« gegessen. Und es war wohl am dritten oder vierten Tag, als …
LOTTI:
Moment mal!
HUGO:
Oh, war das eine Geschichte? Ja, es war eine. Die kam ja vollautomatisch aus mir raus.
LOTTI:
Warst du bei dir? Hast du dich oder mich wahrgenommen? Ist dein Segelschein von damals jetzt relevant?
HUGO:
Ich hätte auf deine Überlegung reagieren können.
LOTTI:
Und wie?
HUGO
(jetzt aufmerksam) : Nicht mit einem Tipp oder Ratschlag, der aus meiner Biografie stammt. Sondern eher mit einer Frage, die dich bei der Überlegung, ob du einen Segelkurs machen möchtest, weiterbringt.
LOTTI:
Wunderbar! Zum Beispiel?
HUGO:
Was spricht für einen Segelkurs? Was dagegen?
LOTTI:
Dann hätten wir Kontakt gehabt.
??? FRAGEN UND ANTWORTEN
Warum erzähle ich überhaupt Geschichten?
Einmal aus reinem Reflex heraus. Als Reizwort dient alles, zum Beispiel »Kontaktlinsen«, und schwupp, erinnern Sie sich an die Geschichte in Paris im Hotel, wo Kathrin eine Linse
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