Kopf frei
uferlos Text produzieren und sich einbilden, er hätte kommuniziert.
Also besteht die Gefahr, dass man kommunikative Eigenarten, die nicht gegenwartsfördernd sind, festigt?
Ja, weil ich nicht durch die Reaktion des anderen korrigiert werde oder ein Feedback erhalte. Fast autistisch.
Sie sagen, die Attraktivität im Bloggen läge darin, eine elektronische, virtuelle Spur hinterlassen zu können. Ist es nicht vielmehr die Möglichkeit, ohne Konfrontation frei das sagen zu können, was mir bezüglich eines Themas am Herzen liegt?
Diese solipsistische Erkenntnis, dass ich in dieser Form der verbalen Ausbreitung gar nicht zum anderen hinüberreiche, wäre ja bereits ein Gewinn. Ich fürchte, dass es viel schlimmer ist: nämlich der Glaube, dass andere mit hohem Interesse zur Kenntnis nähmen, was ich rausgebloggt habe. Die elektronische Spur erhöht noch die Eitelkeit. Dahinter steckt das Bedürfnis, breit und weit wahrgenommen zu werden und sich mitteilen zu können, ohne dabei kritisiert zu werden. Ein Ruf nach Kontakt, nach Begegnung, nach Ausdruck, der so elegant ins Leere läuft, dass man sich einbilden kann, er wäre beantwortet worden.
Das ist der Vorteil: Bloggen und Chatten sind schmerzfrei.
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Trainingspunkt
Sprücheklopperei großzügig versenken
MACH KEINE BLÖDEN SPRÜCHE!
Außer Gedanken gibt’s auch intellektuelle Reflexe.
Stanislaw Jerzy Lec
Mit der Sprücheklopperei kloppen wir auf unsere Gesprächspartner ein. Egal, ob die Sprüche blanke Angewohnheit sind oder einem Produziergehabe entspringen: Sie verhindern in jedem Fall erquicklichen Austausch, Gegenwart und wahre Nähe. Gespräche, in denen Verständnis und Anteilnahme gefragt sind, lassen sich schwerer im unverbindlich Oberflächlichen halten. Es sei denn, jemand hat die Fähigkeit, Sprüche als Kontakt- und Themenkiller einzusetzen. Besonders eignen sich eher unverständliche, fremdsprachige Sprüche. Es folgen einige Kostproben.
Beispiele
Susi wurde von ihrem Kollegen versetzt und will mit ihrem Freund darüber reden. Sie sagt: »Er hat mir fest zugesagt, die Rollen zu bringen! Und dann ist er einfach nicht gekommen. Ich hatte ihn sogar noch mal erinnert. Gibt es denn keine Verlässlichkeit mehr?« Armin gelingt es, einen ernsthafteren Austausch mit Ciceros Worten »Suum cuique« (Jedem das Seine) zu verhindern.
Martha ist stinksauer, verletzt und wütend, weil sie gerade herausgefunden hat, dass ihr Mann fremdgegangen ist. Sie stellt ihn zur Rede.
Für Walter ist das eine kritische Situation, die er wunderbar mit Ovid meistert: »Video meliora, proboque: Deteriora sequor.« (Ich sehe das Bessere und billige es: Das Schlechtere tue ich.) Walter versteckt sich einfach hinter Ovid.
Heinz ist voller Freude, weil sein Sohn sich in einer kritischen Situation sehr nobel verhalten hat. Stolz erzählt er seinem Nachbarn davon. Diesem gelingt es, die Chance zu Nähe und Mitfreude mit La Rochefoucauld zu umschiffen, indem er lapidar kommentiert: »L’amour de la justice n’est en la plupart des hommes que la crainte de souffrir l’injustice.« (Die Liebe zur Gerechtigkeit ist bei den meisten Menschen nur die Furcht, Unrecht zu erleiden.)
Robert erzählt begeistert von einem dreiwöchigen Retreat. Sein Vater reagiert mit David Hume: »Ignorance is the mother of devotion.« (Unwissenheit ist die Mutter der Frömmelei.)
Siegfried will gerne wissen, weshalb Anja so viel Freude am Töpfern hat. Anstatt sich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen, zieht Anja einfach einen Satz von Goethe aus dem Hirn: »Was man versteht, besitzt man nicht.«
Hanna hat ihr Examen nicht bestanden. Sie ist ganz unglücklich und wendet sich Trost suchend an ihren Freund Thorsten. Eine verfängliche Situation, die Thorsten gekonnt mit Propertius abfängt: »In magnis et voluisse sat est.« (Auch nur gewollt zu haben, genügt in großen Dingen.)
Kommentar: Wir sehen, welche großartigen Dienste uns die Sprücheklopperei beim Verhindern von Eigentlichkeit und echtem Austausch leisten kann. Wenn überdies noch Zeit und Konzentration für die Übersetzung des Spruchs benötigt werden, hat man dadurch eine gute Ablenkung vom eigentlichen Thema erreicht. Assoziativ ließe sich diese Ablenkung durch einen kleinen Vortrag über die Vorteile einer humanistischen Bildung besiegeln.
Die Ziele unseres Kommunikationsmodells erreichen wir durch diese Art der Sprücheklopperei nicht. Deshalb einfach weg damit! Freilich gibt es auch Sprüche,
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