Kopf frei
in der Großartigkeit von Kleopatra der Ersten.
Deshalb ist die Net(t)erei so anziehend. Trotz bestialischem Mundgeruch werden unsere Küsse in der Vorstellungswelt aufs Sinnlichste erwidert.
Schopenhauer hat uns schon vor langer Zeit gesagt, dass die Welt nichts anderes ist als unsere Vorstellung. Erst durch das Internet jedoch haben wir die Möglichkeit, die reale Welt zugunsten unserer Vorstellungswelt zum Verschwinden zu bringen. Wir und der Bildschirm – das ist die Plattform, auf der wir unsere Wirklichkeit spielen lassen können. Der einzige kleine Nachteil: Diese Wirklichkeit ist nicht die wirkliche Wirklichkeit.
Und genau hier beginnt das Training. In einem Satz gesagt: Nehmen wir allen Gewinn aus der Net(t)erei und pflanzen ihn in unser wirkliches Leben. Finden wir unser First Life durch die Integration von nicht Gelebtem. Das ist noch schöner als der Ersatz im Net. Folgende Trainingshinweise ebnen den Weg.
► Wir nehmen ganz genau wahr, was so befriedigend am Internetkontakt ist. (Marlies: »Ich werde als Kleopatra angesprochen und geschätzt.«)
► Wir listen die Vorteile auf. (Marlies: »Ich erfahre Selbstbestätigung und fühle mich dadurch besser.«)
► Wir überlegen, wie wir diese Vorteile in unserem wirklichen Leben erlangen könnten. (Marlies: »Ich setze neue Schwerpunkte in meiner Arbeit: Ich mache mehr von dem, was ich gut kann, und weniger von dem, was mir nicht so liegt.«)
► Wir fühlen, wie befriedigend es ist, vom Second zum wirklichen First Life zu wechseln.
Die Net(t)erei verstehe ich als gute Gelegenheit, uns für den Sprung in eine erfüllendere Wirklichkeit ohne Netz vorzubereiten. Der obige Punkt lautet jetzt:
Mehr Unmittelbarkeit im Austausch durch noch mehr Unmittelbarkeit.
Es ist wahnsinnig aufregend! Wenn wir dann Kleopatra im Einkaufsladen treffen und denken: »War das nicht Marlies Hoffmann?«
Hugo auf dem Weg ins First Life
LOTTI:
Warst du mal ein Second-Lifer?
HUGO:
Ich hatte nur ein Third Life.
LOTTI:
Wie meinst du das?
HUGO:
Wenn das Second Life die wohlgefällige, selbst kreierte, wunderbare Kompensations-Identität ist, ja dann gestehe ich, mich noch nicht einmal dazu aufgeschwungen zu haben. Ich habe einfach so vor mich hin kompensiert ohne schöne Kontakte, ohne Freude, ohne Zufriedenheit. Also ein erbärmliches Third Life.
LOTTI:
Verstehe. Und jetzt?
HUGO:
Jetzt überspringe ich gerade das Second Life und übe mich ins First Life ein.
LOTTI:
Gratuliere!
??? FRAGEN UND ANTWORTEN
Sehen Sie Second Life als (unbewusste) Flucht?
Als Flucht vor sich selbst, ja. Aber auch als Weg zu sich selbst.
Sie beziehen sich auf Schopenhauer, der sagt, alles sei Vorstellung. Ist es dann nicht egal, in welcher Vorstellungswelt wir uns bewegen? (Ist die Wirklichkeit der First-Life-Realität tatsächlich wirklicher?)
Wenn die Vorstellungswelt tatsächlich die einzige Welt wäre, in der wir uns bewegen, dann ja. Aber der Unterschied zwischen nur vorgestellten und realen Zahnschmerzen ist unverkennbar.
Man muss unterscheiden zwischen zwei Arten von Vorstellung:
Einmal die Second-Life-Vorstellungswelt: Dies ist eine ausschließlich durch die Vorstellung hervorgerufene und fantasierte Welt.
Und dem Vorstellungsfilter im First Life, mit dem ich die reale Welt deute.
Ist die letzte Vorstellungsart näher an der Wirklichkeit?
Ich kann im Second Life meiner inneren Wirklichkeit näher sein. Und bin aber, weil ich zugleich auch in einer (tatsächlichen) Wirklichkeit leben muss (abweichend von der inneren Wirklichkeit), durch die Diskrepanz von vorgestellter innerer und zwangsgelebter äußerer Welt weiter weg von mir.
Es geht also darum, die Diskrepanz zu sich selbst zu vermindern?
Ja, oder anders formuliert: den Kontakt zu sich selbst zu erhöhen.
Es ist doch gar nicht wirklich möglich, tatsächlich die Identität zu gewinnen, die ich im Second Life einnehme! In Bezug auf das von Ihnen genannte Beispiel: Ich kann doch nie Kleopatra werden?
Die fantasierte Kleopatra gibt mir Hinweise darauf, was mir fehlt. Und diese Hinweise nutze ich, um die Kompensationsidentität annäherungsweise in eine wirkliche Identität zu überführen.
Ist es nicht ein bisschen zu radikal, zu behaupten, eine Identität im Second Life sei nur eine Abdeckung der nicht gelebten Persönlichkeitsanteile im First Life? Am Ende des Tages ist Second Life doch nur ein Spiel.
Es kommt drauf an, ob ich der Meinung bin, das Spiel sei beliebig, zufällig und willkürlich entstanden oder
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